[D66] Zusammenschluss der Ressentiments

R.O. jugg at ziggo.nl
Fri Nov 13 14:51:46 CET 2020


  * 13 Nov 2020
  * Frankfurter Allgemeine Zeitung
  * GÜNTHER NONNENMACHER


  Zusammenschluss der Ressentiments


    Islamophobie als Generalvorwurf: Pascal Bruckner liest der
    französischen Linken die Leviten

Das Buch von Pascal Bruckner, einem renommierten französischen 
Intellektuellen, hat durch die islamistischen Terroranschläge der 
vergangenen Wochen eine bestürzende Aktualität gewonnen. Es ist in 
Frankreich zwar schon 2017 erschienen, die überarbeiteten Aufsätze und 
Zeitungsartikel, die der Autor darin versammelt hat, reichen zum Teil 
sogar ein Jahrzehnt zurück. Aber die terroristischen Attentate in 
ConflansSainte-Honorine bei Paris, in Nizza und anderswo haben die 
Politik wachgerüttelt und die Dringlichkeit befördert, entschiedener 
gegen islamistische Gefährder vorzugehen – was Bruckner schon geraume 
Zeit fordert.

Eine seiner Thesen ist, dass trotz starker Worte wechselnder Regierungen 
die Wirklichkeit – die Ausbreitung des Dschihadismus unter französischen 
Muslimen, vor allem in den heruntergekommenen Banlieues der Metropolen, 
aber auch durch illegale Einwanderung – immer wieder verkannt wurde. Es 
habe auch nicht geholfen, dass Wissenschaftler und hohe Beamte vielfach 
auf alarmierende Entwicklungen aufmerksam machten.

Die Unterschätzung der Gefahr liegt, wie Bruckner glaubt, unter anderem 
an einer radikalen Linken, die von den Trotzkisten bis zur im Parlament 
vertretenen Partei „La France insoumise“reicht. Diese Linken glaubten, 
in den „ausgegrenzten, rassistisch diskriminierten Muslimen ein neues 
‚revolutionäres Subjekt‘“gefunden zu haben. Der Autor macht dabei vor 
allem den ehemaligen Chefredakteur von „Le Monde“und heutigen Chef des 
Internetportals „Mediapart“, Edwy Plenel, namhaft.

Hinzu kommen medial sehr präsente Philosophen wie Michel Onfray oder 
Alain Badiou, die stereotyp auf die soziale Situation der Täter 
hinweisen und dem religiösen Hintergrund der Attentate kaum Beachtung 
schenken. Dass auch die deutsche Linke in dieser Sache Probleme hat, 
haben kürzlich zwei ihrer führenden Protagonisten bestätigt: Dietmar 
Bartsch sprach von mangelnder Eindeutigkeit in den Reaktionen, Kevin 
Kühnert von einem „unangenehm auffälligen Schweigen“angesichts 
islamistischer Morde. Einer der Gründe dafür ist die Befürchtung, 
Beifall von der falschen Seite, etwa von der AfD, zu bekommen; weniger 
plausibel ist, dass es sich, wie Bruckner für Frankreich konstatiert, um 
ideologische Verblendung handelt.

Dass in Frankreich diese Verblendung ausgerechnet bei der radikalen 
Linken grassiert, wo sich sonst lautstarke Verteidiger der 
„laizistischen Republik“versammeln, erstaunt in der Tat. Nach dem 
Massaker in der Redaktion des Satire-Blattes „Charlie Hebdo“gab es dort 
nach den ersten Verurteilungen der Bluttat auch verständnisvolle Worte 
für Muslime, die sich von Mohammed-Karikaturen oder blasphemischen 
Einlassungen über den Propheten in ihrem Glauben beleidigt fühlten – ein 
Verrat am historischen Erbe einer Linken, die sich einst durch 
respektlos-radikale Kritik an der Religion definiert hatte.

Kritik wird schnell als Rassismus angeprangert

Bruckner versucht zu ergründen, warum das so ist. Sein Ausgangspunkt ist 
die Entstehung des Wortes „Islamophobie“und dessen Gleichsetzung mit 
„Rassismus“. Er untersucht in mehreren Anläufen, wie diese Umdeutung 
zustande gekommen ist. Da geht es nicht nur um die soziale Lage von 
Muslimen in Frankreich, von denen immerhin einige in höchste Positionen 
in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat aufgestiegen sind. Vielmehr wird 
auf der Linken etwa Israel als Inbegriff des Neokolonialismus in 
Palästina und Dépendance des „amerikanischen Imperialismus“angesehen. 
Das Elend der Palästinenser lässt dann die Umkehrung zu, dass die Juden 
vom Opfer- zum Tätervolk, dass die Muslime in Israel und Palästina zu 
Opfern geworden seien. Ohne die politischen Umstände zu berücksichtigen 
– neben der Härte der israelischen Besatzungspolitik gibt es auch ein 
eklatantes Versagen der korrupten palästinensischen Führungen –, wird 
dann gefolgert, dass unter dem Etikett der „Islamophobie“faktisch ein 
neuer Rassismus entstanden sei.

Damit gilt wiederum jede Kritik am real existierenden Islam, nicht nur 
an religiösen Inhalten, sondern auch an seinen sozialen Praktiken (Rolle 
der Frau, Regeln der Scharia und so fort), als „islamophob“und 
rassistisch. Unter der Hand wird so die gerade auf der Linken in Europa 
verbreitete Religionskritik zum Rassismus umfunktioniert – jedenfalls 
was den Islam angeht, jedoch nicht, wenn es um das Christentum geht. So 
wird kein Wort darüber verloren, dass es in vielen arabischen Ländern 
die Christen sind, die unterdrückt, verfolgt, vertrieben oder ermordet 
werden (etwa die Kopten in Ägypten); jedenfalls sind sie öfter Opfer 
eines vermeintlichen „Rassismus“als die in Europa lebenden Muslime.

Bruckner erklärt sich das mit einer steilen historischen These: „Wenn 
die Linke totalitäre Theokratien so umwirbt, wie sie es auch mit 
Einparteiendiktaturen gemacht hat, dann tut sie dies auch aus 
Solidarität mit den Verlierern. Sie rächt sich für ihre Niederlagen und 
Rückschläge und verbündet sich mit der einzigen Macht, die die westliche 
Welt in Bedrängnis bringen kann, dem islamischen Fundamentalismus. Es 
ist ein Zusammenschluss der Ressentiments im Milieu der großen 
Verlierer.“Man mag an dieser schlichten „Umbesetzung“zweifeln, in der 
Muslime an die Stelle des Proletariats treten. Auch andere Passagen 
erscheinen weniger von der Realität gedeckt und erinnern mehr an die 
Dystopie eines vom Islam eroberten Frankreichs, wie sie Michel 
Houellebecq in seinem Roman „Unterwerfung“beschrieben hat. Aber im 
Großen und Ganzen zeigt Bruckner, wie wichtig es ist, die dramatische 
Lage in den Banlieues vieler Städte nicht nur als Polizeiproblem zu 
behandeln. Es geht auch um die Rolle der Religion, denn die Attentäter 
sind keine „einsamen Wölfe“, sie bewegen sich in Netzwerken und finden 
Unterstützung im In- und Ausland.

Aus Muslimen in Frankreich sollen französische Muslime werden

In Frankreich gibt es keine Statistiken, welche die Bewohner des Landes 
nach religiösen oder ethnischen Kriterien erfassen. Aber zweifellos 
beherbergt es die größte muslimische Gemeinde in Europa. Im 
abschließenden Teil seines Buches macht Bruckner Vorschläge, wie es mit 
gläubigen Muslimen ein gedeihliches Auskommen in der laizistischen 
Republik geben kann. Wenn die ersten Teile seines Buches manchmal 
alarmistisch klingen und Thesen der extremen Rechten anklingen (etwa die 
Idee einer willentlichen „Überflutung“des Landes mit muslimischen 
Einwanderern), wird sein Tonfall in diesem Zusammenhang geradezu 
liberal. Es geht ihm um die Freiheit der Religionsausübung in den von 
der laizistischen Republik gezogenen rechtlichen Grenzen.

Dazu gehört die Idee, die Entstehung eines gemäßigten „Euro-Islams“zu 
fördern. Das fordern in Frankreich muslimische Schriftsteller und 
Intellektuelle, in Deutschland ist es von Bassam Tibi schon vor 
Jahrzehnten propagiert worden. Die Idee stößt trotz einiger Ansätze (zum 
Beispiel der Ausbildung von Imamen an staatlichen Hochschulen) in den 
muslimischen Moschee-Gemeinden, die in der großen Mehrheit 
traditionalistisch orientiert sind, bisher auf wenig Gegenliebe. 
Bruckners Vorschläge kreisen um den Gedanken, „vermittels einer 
Stiftung, einer Charta, eines Konkordats und klarer Regeln, aus Muslimen 
in Frankreich französische Muslime zu machen, damit die 
Staatsbürgerschaft und die nationale Zugehörigkeit den Vorrang vor der 
religiösen Überzeugung haben“: Das ist leicht gesagt, aber keine Antwort 
auf die Frage, ob es dazu führen kann, den Islam mit der laizistischen 
Republik zu versöhnen. Wenn nicht, was dann, zumal, wie der französische 
Innenminister gerade sagte, achtzig Prozent der Attentäter die 
französische Staatsbürgerschaft besitzen?

Eine andere Voraussetzung wäre für Bruckner, dass der Westen einen von 
historischen Schuldkomplexen (Sklaverei, Kolonialismus, Faschismus, 
Stalinismus) genährten „Selbsthass“ablegt; schließlich hat er diese 
Monster in seiner Geschichte, teils unter schweren Opfern, selbst 
besiegt. Das ist ein weites Feld, gerade wenn es um die Deutschen und 
ihre Geschichte geht.

Es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Bekämpfung des 
islamistischen Terrorismus vor allem ein Anliegen jener moderaten 
Muslime sein müsste, die mehr oder weniger gut integriert bei uns leben; 
viele von ihnen inzwischen als französische oder deutsche Staatsbürger. 
Sie dürfen den Terror nicht nur als „unislamisch“verdammen und von 
fehlgeleiteten Einzelnen sprechen, weil das nicht (mehr) stimmt. Es 
genügt auch nicht, die eigene Gesetzestreue zu beschwören. Damit es bei 
uns nicht so weit kommt wie in Frankreich, müssten sie aufstehen und 
sich gegen jene Glaubensgenossen erheben, die unser aller Freiheit und 
Leben bedrohen. Dazu gehört es auch, eng mit den staatlichen 
Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten.


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