[D66] Katastrophale Folgen: Hitzewellen bedrohen Himalaya-Gletscher | DW

René Oudeweg roudeweg at gmail.com
Mon Aug 1 10:42:51 CEST 2022


1 Aug 2022
Deutsche Welle (Deutsche ausgabe)

Katastrophale Folgen: Hitzewellen bedrohen Himalaya-Gletscher

Schmelzende Gletscher im Himalaya überschwemmen ganze Dörfer. Der
Klimawandel auf dem Dach der Welt bedroht Millionen Menschen. Die
Trinkwasserversorgung und Wasserkraftwerke sind gefährdet.
"Es gibt kein Trinkwasser mehr bei uns zu Hause, deshalb musste ich mit
meiner Familie in ein Hotel ziehen", erklärt Siddique Baig,
Risikoanalyst für Katastrophen am High Mountain Research Center der
Universität von Islamabad. Anfang Mai ist der Gletschersee bei
Hassanabad im Norden Pakistans über die Ufer getreten, das Wasser
überflutete ganze Dörfer, zerstörte Straßen, eine Brücke und zwei kleine
Wasserkraftwerke. Mindestens 75 Menschen starben. Auch sämtliche
Wasserleitungen in Siddique Baigs Wohnort Aliabat Hunza rissen die
Fluten mit sich, das Dorf liegt jetzt auf dem Trockenen.


Der Moment, in dem die Brücke in Hassanabad in Pakistan kollabiert
Baig. Im April wurden in einigen Regionen Pakistans rekordverdächtige 49
Grad Celsius gemessen.

Dabei wuchsen einige Gletscher im Karakorum-Gebirge im Nordosten des
Landes bis vor einigen Jahren noch, so Baig. Doch heute seien sie nicht
mehr stabil. "Die ganze Region, ganz Hochasien ist vom Klimawandel
betroffen. Das ist Realität."

Doppelt so schnelle Erderwärmung im Himalaya bedroht Asiens Flüsse

Die zentralasiatische Bergregion, auch Hochasien genannt, umfasst den
gesamten Himalaya, mit Karakorum und Hindukusch im Nordosten. Die
Gebirgskette, die sich über China, Indien, Afghanistan, Bhutan, Nepal
und Pakistan erstreckt, beheimatet insgesamt 55.000 Gletscher. Diese
einzigartigen Eismassen speichern mehr Süßwasser als jede andere Region
der Erde, nach Nord- und Südpol.

Das natürlich abschmelzende Wasser speist die zehn wichtigsten Flüsse
Asiens, an deren Ufern fast zwei Milliarden Menschen leben. Allein die
drei größten Flüsse Süd-Asiens, der Ganges, den Indus und den
Brahmaputra, die Lebensgrundlage von rund 750 Millionen Menschen, so ein
Bericht der Weltbank von 2015. Auch der längste Fluss der Kontinents,
der Jangtsekiang in China sowie der Mekong in Südostasien sind vom
Himalaya-Wasser abhängig. Doch trotz der riesigen Wasservorräte in den
Gletschern - unendlich sind sie nicht.

Zu wenig Schneefall in den Bergen und der menschengemachte Klimawandel
beschleunigen das Gletschersterben. Laut dem Entwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen steigen die Temperaturen im Himalaya doppelt so
schnell wie im globalen Durchschnitt. Wird die Erderwärmung nicht auf
unter 1,5 Grad Celsius begrenzt, werden bis zum Ende des Jahrhunderts
die Hälfte oder sogar zwei Drittel der Gletscher in Zentralasien
verschwinden, das haben Forscher berechnet.

"Die meisten Menschen in der Region leben von der Landwirtschaft," sagt
Atanu Bhattacharya, Assistenzprofessor und Glaziologe an der JIS
University in Kolkata, Indien. Noch gäbe es zwar vor allem in den
Bergregionen Indiens genug Frischwasser, so Bhattacharya. Doch es sei
völlig unklar, wieviel Wasser den Regionen in Zukunft zur Verfügung
stehen werde. Und er ist sicher: "Die Gletscher werden definitiv schmelzen".

Deshalb müsse man heute in besseres Wassermanagement und
Wasseraufarbeitung investieren, so der Gletscherforscher.

Nepal und Pakistan gehören laut dem Klima-Risiko-Index der
Nichtregierungsorganisation Germanwatch zu den zehn am meisten vom
Klimawandel bedrohten Ländern weltweit, Afghanistan und Indien sind
unter den Top zwanzig.

Wasserkraftwerke in Gefahr: Erst zu viel Schmelzwasser, dann Wasserknappheit

Schmilzt das Eis und brechen Gletscherseen aus, sind nicht nur Dörfer
und Anwohner in Gefahr, sondern auch die lokale Energieversorgung.
Wissenschaftler schätzen, dass im Himalaya über 250 Wasserkraftwerke an
Flüssen liegen, die durch mögliche Gletscherseebrüche stark anschwellen
könnten. Zwar sind Wasserkraftwerke schon für hohe Pegel gebaut. Doch
zusätzliches Wasser berstender Gletscherseen könnte bei einem Drittel
der Kraftwerke weit über der Wassermenge liegen, für die sie ausgelegt
wurden.

Bhattacharya sieht noch weitere Probleme für die künftige
Energieversorgung in den betroffenen Regionen. "Derzeit gibt es keine
Wasserknappheit, weil mehr Wasser abfließt. Aber wenn in Zukunft kein
Wasser aus den Bergen kommt, können wir auch keinen Strom mehr
erzeugen." Die Stauseen der Kraftwerke würden schlicht austrocknen, die
Investitionen verloren gehen. Indien hat letztes Jahr den Bau neuer
Wasserkraftwerke oberhalb des Ganges untersagt. So will man verhindern,
dass Flüsse im unteren Flusslauf langfristig austrocknen.

Weniger Luftverschmutzung hilft gegen Gletscherschmelze

Doch nicht nur hohe Temperaturen und wenig Niederschläge im Hochgebirge,
tragen zum Gletschersterben bei. Rund die Hälfte der geschmolzenen
Gletscher wurden durchmenschengemachte Luftverschmutzung verursacht.

Beim Verbrennen fossiler Brennstoffen, wie Kohle, Öl und Gas oder auch
Feldresten entsteht schwarzer Ruß und Feinstaub, auch "Black Carbon"
genannt. Durch den Wind hinaufgetragen, legen sich die schwarzen
Partikel auf den Eisschichten ab. Sie absorbieren mehr Hitze als weißer
Schnee oder Eis, die viele Sonnenstrahlen reflektieren. Der Effekt: Das
Eis heizt sich schneller auf und schmilzt.

Ein Reduzierung der Luftverschmutzung

hätte einen direkten Einfluss auf die Gletscherschmelze, das zeigen
Forschungsergebnisse. Die Luftverschmutzung durch Ziegelöfen sowie das
Kochen und Heizen mit Holz sind für bis zu 66 Prozent des Black Carbons
in der Region verantwortlich, gefolgt von Dieselfahrzeugen mit einem
Anteil von bis zu 18 Prozent.

"Die Menschen müssen umgesiedelt werden"

Auch wenn Möglichkeiten gibt, das Schmelzen der Gletscher zumindest zu
verlangsamen, sieht Siddique Baig düster in die Zukunft. In der
Bergregion Pakistans seien etwa sieben Millionen Menschen in Gefahr vor
weiteren Fluten. "Diese Menschen müssen umgesiedelt werden, und zwar an
andere, sicherere Orte."

Er sieht vor allem die Verursacher der Erderwärmung in der
Verantwortung. Den Klimawandel aufzuhalten "liegt nicht in unserer
Macht." Pakistan ist für den Ausstoß von grade mal einem Prozent
klimaschädlicher Gase weltweit verantwortlich. Auch andere Länder wie
Afghanistan und Nepal tragen mit weniger als 0,05 Prozent nur marginal
zum Klimawandel bei, leiden aber überproportional unter den Folgen.


Für seine Arbeit am High Mountain Institute beobachtet Baig regelmäßig
die Gletscher in seiner Region. Aber mit der Aussicht auf mehr
Überflutungen, zerstörte Dörfer, und der Gefahr, dass irgendwann das
Trinkwasser ausgehen könnte, hat Baig für sich und für seine Familie
bereits eine Entscheidung getroffen. "Eines Tages werden wir von hier
wegziehen."


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