[D66] Ukraine-Krieg: Russland und die Schlacht am Dnjepr | DW

René Oudeweg roudeweg at gmail.com
Mon Aug 1 10:32:35 CEST 2022


1 Aug 2022
Deutsche Welle (Deutsche ausgabe)

Ukraine-Krieg: Russland und die Schlacht am Dnjepr

Während die EU um GasSolidarität streitet, bereitet der ukrainische
Präsident Selenskyj wohl eine Rückeroberung von Cherson im Süden vor.
Das Gebiet am Dnjepr ist heute strategisch so wichtig wie im Zweiten
Weltkrieg.
Es waren im Zweiten Weltkrieg entscheidende Monate in der damals
sowjetischen Ukraine: 1943, vor bald 80 Jahren, drängte die Rote Armee
unter enormen Verlusten die deutsche Wehrmacht zurück über den Fluss
Dnjepr.HitlerDeutschland und seine rumänischen Verbündeten hatten nach
der Niederlage von Stalingrad Anfang Februar 1943 zunächst noch die
sogenannte WotanVerteidigungslinie gehalten. Bis Anfang November 1943
konnte sich die Rote Armee auf einer Länge von 450 Kilometern auch
westlich des Flusses etablieren. Auf Seiten der Sowjets wurden bei den
monatelangen Kämpfen 1,2 Millionen Soldaten getötet oder verletzt.


Nadelstiche mit westlicher Artillerie: Ukrainische Soldaten bei Charkiw
Selenskyj spricht von einer Million ukrainischen Soldaten

Dieser historische Rückgriff mag eine Rolle spielen bei den täglichen
Videobotschaften des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj heute.
Die russischen Angreifer werden in der Ukraine vielfach als "Raschisten"
bezeichnet, also: "russische Faschisten". Selenskyj kündigt seit Wochen
eine Gegenoffensive im Süden seines Landes gegen die russischen Besatzer
um die russisch besetzte Stadt Cherson an. Dabei spricht er von einer
Truppenstärke von einer

Million Soldatinnen und Soldaten. Unabhängig nachprüfbar ist diese
Größenordnung nicht. Die russische Armee hatte zu Beginn der Invasion am
24. Februar bis zu 150.000 Soldaten in der Region stationiert.

Der Ausgang des Kampfes entlang des in der Südukraine teilweise einen
Kilometer breiten Dnjepr war vor 80 Jahren eine Zäsur - und er wäre es
wohl auch heute. Seit den ersten Tagen der russischen Invasion nach dem
24. Februar halten die Kreml-Soldaten die südukrainische Stadt Cherson
mit ihren knapp 300.000 Einwohnern westlich des Dnjepr besetzt. Der
US-Militärexperte Michael Kofman vom Forschungsprogramm für
Russlandstudien des Center for Naval Analyses, eines Forschungszentrums
der U.S. Navy, glaubt, dass die Ukrainer mit einer erfolgreichen
Gegenoffensive an dieser Stelle weitere Offensiven der russischen Armee
in Richtung der Hafenstadt Odessa unmöglich machen könnten.

49. Armee Russlands prekärer Lage in

Tatsächlich versucht die ukrainische Armee derzeit mit gezielten
Angriffen der von den USA gelieferten HIMARSArtilleriesystemen, in der
Region um die Gebietshauptstadt Cherson eine strategische
Weichenstellung für den weiteren Verlauf des Krieges bis zum Herbst zu
erzwingen.

Sollte die Ukraine erfolgreich sein, könnte sie einen ähnlich wichtigen
Sieg für sich reklamieren wie zuvor das Zurückdrängen der russischen
Armee von der Millionenstadt Charkiw im Norden des Landes. Sollten die
russischen Streitkräfte dagegen widerstehen, wäre das ein herber Schlag
für die Ukraine, der ihr womöglich auch viel Unterstützung im Westen
kosten könnte. Allerdings kann sich die Regierung in Kiew der
Unterstützung zahlreicher Bürgerinnen und Bürger von Cherson sicher
sein. Vor dem Verwaltungssitz der Region Cherson mit ihren insgesamt
mehr als einer Million Einwohnern hatten zu Beginn von Russlands
Angriffskrieg täglich Menschen gegen die russischen Besatzer
demonstriert und den Kreml-Soldaten

zugerufen: "Haut ab" und "Cherson ist ukrainisch".

Ende Juli beschädigte die ukrainische Armee drei wichtige Brücken auf
der Höhe von Cherson, das von Russlands 49. Armee besetzt wird. Die
russischen Soldaten in Cherson wurden bis dahin über diese Brücken mit
Nachschub versorgt. Entscheidend war offenbar der zweite nächtliche
HIMARS-Angriff vom 26. auf den 27. Juli 2022 auf die wichtigste der drei
Flussüberquerungen: Die Antoniwkabrücke von Cherson ist mehr als tausend
Meter lang.

Sie wurde so stark beschädigt, dass sie für schweres Gerät unpassierbar
geworden ist. Viele Angaben der Kriegsparteien sind unabhängig nicht zu
überprüfen. Allerdings zeigen Videos in sozialen Netzwerken nach der
Bombardierung eine russische PontonFähre als Ersatz für die
BrückenVerbindung. Diese Alternative wäre für die Ukrainer ein leicht zu
treffendes Ziel. Erstmals berichtete jetzt das britische
Verteidigungsministerium, dass die ukrainische "Gegenoffensive in
Cherson an Schwung gewinnt".

Nach diesem britischen Geheimdienstbericht ist die 49. russische Armee
in Cherson jetzt "hoch verwundbar". Mehr noch: "Auch die Stadt Cherson
(...) ist nun praktisch von den anderen besetzten Gebieten
abgeschnitten. Ihr Verlust würde die Versuche Russlands, die Okkupation
als Erfolg darzustellen, erheblich beeinträchtigen", schreiben die
Autoren. Weitere Social-MediaVideos sollen zeigen, wie die russische
Seite bereits reagiert und offenbar schweres Gerät in Richtung Cherson
transportiert.

Wer kontrolliert Cherson?

In der Hauptstadt Kiew zeigt sich Mychajlo Podoljak sehr selbstbewusst.
DerBerater von Präsident Selenskijs Kabinettchef verweist im
DW-Interview auf den militärischen Erfolg um die Schlangeninsel im
Schwarzen Meer. Das kleine Eiland vor den Küsten der Ukraine und
Rumäniens, von der aus der Seeweg Richtung Bosporus kontrolliert werden
kann. Die Insel wurde von der russischen Armee nach massivem
ukrainischen Beschuss Ende Juni aufgegeben. Nach Lesart des Kreml als
"Geste des guten Willens". Jetzt werde Moskau "verstehen, dass es
notwendig ist, eine weitere 'Geste des guten Willens' zu zeigen und
Cherson zu verlassen", so Podoljak mit Verweis auf den Beschuss der
wichtigen Straßenbrücke bei Cherson.


Aber auch die russische Armee ist zu gezielten Schlägen in der südlichen
Region fähig. So bestätigt Simon Ostrovsky vom amerikanischen TV-Sender
ABC nach einem Besuch in der Region von mehreren erfolgreichen
Zerstörungen von See page 4



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