[D66] [JD: 94] Ursprung des Coronavirus: US-Geheimdienste wissen es nicht | SZ

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Thu May 27 17:04:12 CEST 2021


  Ursprung des Coronavirus: US-Geheimdienste wissen es nicht

By
Hubert Wetzel
Süddeutsche Zeitung
5 min
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<https://www.sueddeutsche.de/politik/ursprung-coronavirus-us-geheimdienste-labor-wuhan-biden-1.5305275?fbclid=IwAR2qa-YR24Ifi1yNXXwgZoNZGFdsS1EBxW_5DwRqCEVYKx6JG04QaTJGZ1Q>

Wie und wo sich der erste Mensch mit dem Coronavirus infiziert hat,
wissen nicht einmal die US-Geheimdienste genau. Präsident Biden will
herausfinden, ob es in einem Forschungsinstitut in Wuhan passiert ist.
Die Antwort könnte enorme politische Folgen haben.

Das inoffizielle Motto der CIA ist ein Bibelzitat. Evangelium des
Johannes, Kapitel 8, Vers 32: "Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und
die Wahrheit wird euch frei machen." Der US-Auslandsgeheimdienst erzählt
zwar nicht immer die Wahrheit. Aber es ist seine Aufgabe, die Wahrheit
zu wissen. Erst recht, wenn das Leben von Millionen Amerikanern auf dem
Spiel steht.

Insofern war die Presseerklärung
<https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2021/05/26/statement-by-president-joe-biden-on-the-investigation-into-the-origins-of-covid-19/>,
die Joe Biden <https://www.sueddeutsche.de/thema/Joe_Biden> am Mittwoch
herausgegeben hat, durchaus bemerkenswert. Der US-Präsident stellte
darin offen fest, dass die Geheimdienste seines Landes, allen voran die
zuständige CIA, keine verlässlichen Erkenntnisse dazu haben, wie das
Virus mit dem Namen Sars-CoV-2 in die Welt gekommen ist, das weltweit
bisher mindestens 3,5 Millionen Menschen getötet hat, davon fast 600 000
in den Vereinigten Staaten. Es gebe zu dieser Frage zwar
unterschiedliche Szenarien, so Biden, aber keine definitiven
Schlussfolgerungen. Er habe die US-Dienste daher angewiesen, noch einmal
nachzuforschen und ihm in 90 Tagen Bericht zu erstatten.

Bemerkenswert war die Stellungnahme aber auch, weil Biden darin
ausdrücklich ein Szenario erwähnte, das politisch extrem heikel ist: die
Theorie, dass das Virus nicht auf natürlichem Wege von einem Tier auf
den Menschen übergesprungen ist, sondern bei einem Unfall in einem
chinesischen Labor. Biden befeuert damit auf höchster politischer Ebene
eine Debatte über zwei Fragen, die seit dem Beginn der Pandemie immer
wieder aufflackert: Woher stammt das Virus? Und wie, wo und wann hat es
erstmals einen Menschen infiziert? Je nachdem, zu welchen Antworten die
US-Dienste kommen, könnten die Folgen erheblich sein.

Bisher haben viele westliche Wissenschaftler, die Regierung in Peking
sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die These vertreten, dass
Sars-CoV-2 sich mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Tier durch
natürliche Evolution entwickelt hat, wohl in einer Fledermaus. Von
diesem Tier soll es auf den Menschen übergesprungen sein, entweder durch
direkten Kontakt oder auf dem Umweg über ein weiteres Wirtstier. Solche
sogenannten zoonotischen Infektionen sind nicht ungewöhnlich. Ebenso ist
bekannt, dass Coronaviren, wie Sars-CoV-2 eines ist, in Fledermäusen
vorkommen. Als wahrscheinlicher Übertragungsort gilt ein Tiermarkt in
Wuhan, jener chinesischen Stadt, in der die Pandemie um die Jahreswende
2019/2020 ihren Anfang genommen hat.


      US-Diplomaten warnten schon vor Jahren vor Sicherheitsmängel in
      dem Labor in Wuhan

Seit einigen Wochen wird in Fachkreisen aber auch zunehmend eine zweite
These zum Infektionsweg für plausibel gehalten. Danach hat die erste
Infektion eines Menschen mit Sars-Cov-2 nicht in der freien Natur oder
irgendwo auf einem schlecht geputzten Markt stattgefunden, sondern in
einem Labor des Instituts für Virologie in Wuhan. Zwar gibt es derzeit
nach allem, was öffentlich bekannt ist, keine Belege dafür, dass das
Virus in einem Labor künstlich hergestellt oder genetisch manipuliert
wurde, etwa im Rahmen eines Biowaffen-Programms. Auch Biden erhebt
diesen Vorwurf nicht.

Aber denkbar ist, dass chinesische Wissenschaftler in dem Wuhaner
Institut an natürlich entstandenen Coronaviren geforscht haben, die sie
zuvor aus Fledermäusen isoliert hatten - unter anderem an dem Virus, das
später Sars-CoV-2 genannt wurde. Bei dieser Arbeit könnten die Forscher
sich aus Versehen infiziert und dann das Virus nach draußen getragen haben.

Zwei Hinweise stützen diese These. Erstens: US-Diplomaten, die das
Institut in Wuhan besuchen durften, haben offenbar schon vor Jahren vor
schweren Sicherheitsmängeln dort gewarnt
<https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/04/14/state-department-cables-warned-safety-issues-wuhan-lab-studying-bat-coronaviruses/>.
Zweitens: Dem US-Außenministerium zufolge
<https://2017-2021.state.gov/fact-sheet-activity-at-the-wuhan-institute-of-virology/index.html>
erkrankten bereits im Herbst 2019 mehrere Mitarbeiter des Wuhaner
Instituts. Ihre Symptome sollen denen einer Covid-19-Infektion
geglichen haben.


      Die Bestätigung der Labor-Theorie wäre ein später Triumph für Trump

Biden zufolge gibt es unter den diversen amerikanischen Geheimdiensten
keine einheitliche Meinung, welches Szenario zutrifft. In seiner
Stellungnahme vom Mittwoch schrieb er, dass zwei Dienste einen
natürlichen Infektionsweg für wahrscheinlicher hielten, ein anderer
Dienst neige dagegen der These zu, es habe einen Labor-Unfall in Wuhan
gegeben. Alle drei Dienste seien von der Theorie ihrer Wahl jedoch "kaum
oder nur mäßig" überzeugt.

Das heißt: Im Grunde haben die USA keine Ahnung, unter welchen Umständen
die Pandemie begonnen hat. Aber der Präsident nimmt die These vom
Labor-Unfall offensichtlich ernst.

Von den Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung des Virus hängt viel
ab. Sollte sich herausstellen, dass die Pandemie kein natürlich
verursachtes Ereignis ist, ein Akt Gottes sozusagen, sondern durch
Schlamperei in einem chinesischen Labor angestoßen wurde, wäre Peking
blamiert. Es ist daher wohl kein Zufall, dass die chinesische Regierung
bei der Aufklärung der Anfänge der Pandemie nicht besonders hilfreich
ist und betont, die WHO habe das Szenario vom Labor-Unfall bereits als
äußerst unwahrscheinlich bezeichnet.

Was die amerikanische Innenpolitik betrifft, wäre eine Bestätigung der
Labor-Theorie eine Blamage für die Demokraten und ein Triumph für den
abgewählten Präsidenten Donald Trump
<https://www.sueddeutsche.de/thema/Donald_Trump>. Er und enge Vertraute
wie Außenminister Mike Pompeo hatten schon im vergangenen Frühjahr
behauptet
<https://www.axios.com/pompeo-coronavirus-wuhan-lab-5f305526-9ceb-49af-943a-fd8291a6d5d9.html>,
das Virus stamme vermutlich aus einem Labor in Wuhan. Sie legten aber
keine Beweise für diesen Vorwurf vor, auch gegenüber verbündeten
Staaten nicht.

In den USA formierte sich damals eine breite Front von Journalisten,
Wissenschaftlern und demokratischen Politikern, die Trump bezichtigten,
durch unbewiesene Unterstellungen rassistische Ressentiments zu schüren.
Dass das ein Nebeneffekt war, wenn der damalige Präsident demonstrativ
vom "China-Virus" sprach, ist nicht ausgeschlossen. Allerdings liegt
auch nahe, dass die Vehemenz, mit der die These vom Labor-Unfall lange
Zeit abgelehnt wurde, sehr viel mit politisch motivierter Abneigung
gegen Trump zu tun hatte, weniger mit der bekannten Faktenlage.


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