[D66] [JD: 94] Corona aus dem Labor? | FAZ

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Thu May 27 11:25:34 CEST 2021


  * 27 May 2021
  * Frankfurter Allgemeine Zeitung
  * Von Friederike Böge, Peking


  Corona aus dem Labor?


    Offene Fragen an China zur Quelle von Covid.

Die Hypothese von einem Laborunfall in Wuhan, bei dem das Coronavirus im
Herbst 2019 entwichen sein könnte, schien schon vom Tisch zu sein. Ein
Expertenteam der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sie als „extrem
unwahrscheinlich“bezeichnet und keine weiteren Nachforschungen
empfohlen. Doch nun ist das Institut für Virologie in Wuhan wieder in
den Fokus der Debatte geraten. Das hat zum Teil mit der Jahrestagung der
WHO in Genf zu tun. Dort wird in dieser Woche über das weitere Vorgehen
bei der Suche nach dem Ursprung des Virus beraten. Die amerikanische
Regierung dringt auf eine Fortsetzung der Untersuchungen in China und
verlangt von Peking „einen komplett transparenten Prozess“. China
dagegen betrachtet die Mission im eigenen Land als abgeschlossen und
fordert, dass sich die Nachforschungen nun auf andere Länder
konzentrieren müssten.

/Foto Reuters /Im Nebel: das Institut für Virologie in Wuhan

Genährt wurde die These vom LaborUnfall zuletzt durch das Wall Street
Journal. Die Zeitung berichtete vor wenigen Tagen über ein vertrauliches
Papier der Trump-Regierung, dem zufolge drei Forscher des Wuhaner
Instituts im November 2019, also vor der Diagnose der ersten bekannten
Corona-Fälle, ein Krankenhaus aufgesucht hätten. Unklar ist allerdings,
welche Symptome die Wissenschaftler zeigten und ob sie stationär
behandelt wurden. Da es in China kaum niedergelassene Ärzte gibt,
begeben sich Patienten auch mit leichten Beschwerden in die
KlinikAmbulanz. Die derzeitige amerikanische Regierung distanzierte sich
von dem Bericht. Sprecherin Jen Psaki sagte, sie könne die Angaben nicht
bestätigen, weil es sich „nicht um einen Bericht der Vereinigten
Staaten“handle. Offenbar wurde die Information seinerzeit von einem
anderen Land an Washington übermittelt.

Doch unabhängig vom Bericht des Wall Street Journal haben in den
vergangenen Wochen zahlreiche renommierte Wissenschaftler eine
forensische Untersuchung des Wuhaner Instituts für Virologie gefordert.
Sie stützen sich nicht auf grundlegend neue Erkenntnisse, sondern
verweisen vielmehr darauf, dass die WHO die Möglichkeit eines
Laborunfalls bisher nicht ausreichend geprüft habe. Außerdem gebe es für
die Hypothese einer natürlichen Übertragung durch einen Zwischenwirt,
die von den WHO-Experten als wahrscheinlichstes Szenario bewertet wurde,
bisher ebenfalls keine Belege. „Nur vier der 313 Seiten des Berichts
(der WuhanMission der WHO) befassen sich mit der Möglichkeit eines
Laborunfalls“, monierten 18 Biologen von Universitäten in den
Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien und der Schweiz vor knapp
zwei Wochen in der Zeitschrift Science. Sie fordern eine Offenlegung der
Rohdaten chinesischer Labore und Gesundheitsbehörden und eine „von
unabhängiger Seite beaufsichtigte“Untersuchung. Dass China sich bisher
geweigert hat, solche Daten zu teilen, hat eher noch Zweifel geschürt.
Außerdem, schreiben die Biologen, müssten Interessenkonflikte minimiert
werden. Das bezieht sich mutmaßlich auf den Zoologen Peter Daszak, der
an der WHO-Mission in Wuhan beteiligt war, obwohl er als Präsident der
EcoHealth-Alliance jahrelang mit dem Wuhaner Institut an der Erforschung
neuer Coronaviren gearbeitet hat. Daszak hat die Labor-Hypothese von
Anfang an vehement zurückgewiesen.

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs in der Zeitschrift Science zählt der
Biosicherheitsexperte Ralph Baric, der in der Vergangenheit ebenfalls
mit dem Wuhaner Institut und dessen Leiterin Shi Zhengli kooperiert hat.
Bei der gemeinsamen Forschung ging es um sogenannte
Gain-offunction-Experimente. Dabei werden Viren im Labor verändert und
ihre Wirkung auf menschliche Zellen untersucht. Ziel der von manchen
Wissenschaftlern als gefährlich betrachteten Experimente ist es,
Gefahren für den Menschen frühzeitig zu erkennen und Grundlagen für die
Produktion künftiger Impfstoffe zu legen.

Bis zum Ausbruch der Pandemie wurden diese Forschungen des Wuhaner
Instituts über Jahre von der amerikanischen Regierung finanziert. Baric
sagte dem Wall Street Journal, er halte eine natürliche Ursache der
Pandemie noch immer für das wahrscheinlichste Szenario. Dennoch plädiere
er für eine „gründliche Untersuchung“der Biosicherheitsprotokolle des
Wuhaner Instituts. Inzwischen ist nämlich bekannt geworden, dass ein
Teil der Gain-of-Function-Forschung in Laboren der Sicherheitsstufe 2,
also außerhalb des Hochsicherheitslabors von Wuhan, stattfand. Dies hat
auch den Epidemiologen Ian Lipkin von der Columbia-Universität zu einer
Neubewertung bewogen. Niemand solle Fledermausviren in dieser
niedrigeren Sicherheitsstufe untersuchen, sagte er in einem Interview.

Auch ein anderer prominenter Fachmann scheint seine Haltung überdacht zu
haben: der US-Regierungsberater Anthony Fauci. Er sei „nicht
überzeugt“von der Hypothese einer natürlichen Übertragung des Virus über
einen Zwischenwirt auf den Menschen, sagte er kürzlich und sprach sich
dafür aus, „weiter zu untersuchen, was in China passiert ist“. Damit zog
er sich den Zorn der chinesischen Parteipresse zu. Die Global Times warf
Fauci am Mittwoch vor, sich an einem „Meinungskrieg gegen China“zu
beteiligen und damit moralische und wissenschaftliche Standards
aufzugeben. Ein Regierungssprecher sprach von „Verschwörungstheorien und
Desinformation“.

Tatsächlich hatten auch viele amerikanische Wissenschaftler die
Hypothese vom Laborunfall lange eher im Umfeld von Verschwörungstheorien
verortet. Manche Wissenschaftsjournalisten fragen sich inzwischen, ob
das auch daran lag, dass sie sich von der schrillen TrumpRhetorik
abgrenzen wollten, der das Coronavirus als Kung-Flu bezeichnet hat. Die
neue Unaufgeregtheit im Weißen Haus scheint die wissenschaftliche
Debatte darüber, ob und wie das Coronavirus aus einem Labor entwichen
sein könnte, jedenfalls zu beflügeln.


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