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<ul class="art-meta">
<li>27 May 2021</li>
<li>Frankfurter Allgemeine Zeitung</li>
<li>Von Friederike Böge, Peking</li>
</ul>
<h1>Corona aus dem Labor?<a class="button b-translate b-exp"><span></span></a><span
class="slider"><span></span></span></h1>
<div class="clear">
<div class="art-layout-a-2x" id="testArtCol_a">
<h2>Offene Fragen an China zur Quelle von Covid.</h2>
<p>
Die Hypothese von einem Laborunfall in Wuhan, bei dem das
Coronavirus im Herbst 2019 entwichen sein könnte, schien schon
vom Tisch zu sein. Ein Expertenteam der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sie als „extrem
unwahrscheinlich“bezeichnet und keine weiteren Nachforschungen
empfohlen. Doch nun ist das Institut für Virologie in Wuhan
wieder in den Fokus der Debatte geraten. Das hat zum Teil mit
der Jahrestagung der WHO in Genf zu tun. Dort wird in dieser
Woche über das weitere Vorgehen bei der Suche nach dem
Ursprung des Virus beraten. Die amerikanische Regierung dringt
auf eine Fortsetzung der Untersuchungen in China und verlangt
von Peking „einen komplett transparenten Prozess“. China
dagegen betrachtet die Mission im eigenen Land als
abgeschlossen und fordert, dass sich die Nachforschungen nun
auf andere Länder konzentrieren müssten. </p>
<span class="art-object art-mainimage" id="artObjectWrap"
style="height: 33.6em;"><a><img
src="https://i.prcdn.co/img?regionguid=079313a7-111d-4e42-898b-65f2be8ed405&scale=241&file=30052021052700000000001001®ionKey=5E7uVDpQpaE3dcZ5%2bZ9q0A%3d%3d"
id="artObject" width="540" height="368"><em>Foto Reuters </em></a></span><span
class="art-imagetext">Im Nebel: das Institut für Virologie in
Wuhan</span>
<p>
Genährt wurde die These vom LaborUnfall zuletzt durch das Wall
Street Journal. Die Zeitung berichtete vor wenigen Tagen über
ein vertrauliches Papier der Trump-Regierung, dem zufolge drei
Forscher des Wuhaner Instituts im November 2019, also vor der
Diagnose der ersten bekannten Corona-Fälle, ein Krankenhaus
aufgesucht hätten. Unklar ist allerdings, welche Symptome die
Wissenschaftler zeigten und ob sie stationär behandelt wurden.
Da es in China kaum niedergelassene Ärzte gibt, begeben sich
Patienten auch mit leichten Beschwerden in die KlinikAmbulanz.
Die derzeitige amerikanische Regierung distanzierte sich von
dem Bericht. Sprecherin Jen Psaki sagte, sie könne die Angaben
nicht bestätigen, weil es sich „nicht um einen Bericht der
Vereinigten Staaten“handle. Offenbar wurde die Information
seinerzeit von einem anderen Land an Washington übermittelt. </p>
<p>
Doch unabhängig vom Bericht des Wall Street Journal haben in
den vergangenen Wochen zahlreiche renommierte Wissenschaftler
eine forensische Untersuchung des Wuhaner Instituts für
Virologie gefordert. Sie stützen sich nicht auf grundlegend
neue Erkenntnisse, sondern verweisen vielmehr darauf, dass die
WHO die Möglichkeit eines Laborunfalls bisher nicht
ausreichend geprüft habe. Außerdem gebe es für die Hypothese
einer natürlichen Übertragung durch einen Zwischenwirt, die
von den WHO-Experten als wahrscheinlichstes Szenario bewertet
wurde, bisher ebenfalls keine Belege. „Nur vier der 313 Seiten
des Berichts (der WuhanMission der WHO) befassen sich mit der
Möglichkeit eines Laborunfalls“, monierten 18 Biologen von
Universitäten in den Vereinigten Staaten, Kanada,
Großbritannien und der Schweiz vor knapp zwei Wochen in der
Zeitschrift Science. Sie fordern eine Offenlegung der Rohdaten
chinesischer Labore und Gesundheitsbehörden und eine „von
unabhängiger Seite beaufsichtigte“Untersuchung. Dass China
sich bisher geweigert hat, solche Daten zu teilen, hat eher
noch Zweifel geschürt. Außerdem, schreiben die Biologen,
müssten Interessenkonflikte minimiert werden. Das bezieht sich
mutmaßlich auf den Zoologen Peter Daszak, der an der
WHO-Mission in Wuhan beteiligt war, obwohl er als Präsident
der EcoHealth-Alliance jahrelang mit dem Wuhaner Institut an
der Erforschung neuer Coronaviren gearbeitet hat. Daszak hat
die Labor-Hypothese von Anfang an vehement zurückgewiesen. </p>
</div>
<div class="art-layout-b-2x" id="testArtCol_b">
<p> Zu den Unterzeichnern des Aufrufs in der Zeitschrift Science
zählt der Biosicherheitsexperte Ralph Baric, der in der
Vergangenheit ebenfalls mit dem Wuhaner Institut und dessen
Leiterin Shi Zhengli kooperiert hat. Bei der gemeinsamen
Forschung ging es um sogenannte Gain-offunction-Experimente.
Dabei werden Viren im Labor verändert und ihre Wirkung auf
menschliche Zellen untersucht. Ziel der von manchen
Wissenschaftlern als gefährlich betrachteten Experimente ist
es, Gefahren für den Menschen frühzeitig zu erkennen und
Grundlagen für die Produktion künftiger Impfstoffe zu legen. </p>
<p> Bis zum Ausbruch der Pandemie wurden diese Forschungen des
Wuhaner Instituts über Jahre von der amerikanischen Regierung
finanziert. Baric sagte dem Wall Street Journal, er halte eine
natürliche Ursache der Pandemie noch immer für das
wahrscheinlichste Szenario. Dennoch plädiere er für eine
„gründliche Untersuchung“der Biosicherheitsprotokolle des
Wuhaner Instituts. Inzwischen ist nämlich bekannt geworden,
dass ein Teil der Gain-of-Function-Forschung in Laboren der
Sicherheitsstufe 2, also außerhalb des Hochsicherheitslabors
von Wuhan, stattfand. Dies hat auch den Epidemiologen Ian
Lipkin von der Columbia-Universität zu einer Neubewertung
bewogen. Niemand solle Fledermausviren in dieser niedrigeren
Sicherheitsstufe untersuchen, sagte er in einem Interview. </p>
<p> Auch ein anderer prominenter Fachmann scheint seine Haltung
überdacht zu haben: der US-Regierungsberater Anthony Fauci. Er
sei „nicht überzeugt“von der Hypothese einer natürlichen
Übertragung des Virus über einen Zwischenwirt auf den
Menschen, sagte er kürzlich und sprach sich dafür aus, „weiter
zu untersuchen, was in China passiert ist“. Damit zog er sich
den Zorn der chinesischen Parteipresse zu. Die Global Times
warf Fauci am Mittwoch vor, sich an einem „Meinungskrieg gegen
China“zu beteiligen und damit moralische und wissenschaftliche
Standards aufzugeben. Ein Regierungssprecher sprach von
„Verschwörungstheorien und Desinformation“. </p>
<p> Tatsächlich hatten auch viele amerikanische Wissenschaftler
die Hypothese vom Laborunfall lange eher im Umfeld von
Verschwörungstheorien verortet. Manche
Wissenschaftsjournalisten fragen sich inzwischen, ob das auch
daran lag, dass sie sich von der schrillen TrumpRhetorik
abgrenzen wollten, der das Coronavirus als Kung-Flu bezeichnet
hat. Die neue Unaufgeregtheit im Weißen Haus scheint die
wissenschaftliche Debatte darüber, ob und wie das Coronavirus
aus einem Labor entwichen sein könnte, jedenfalls zu
beflügeln.</p>
</div>
</div>
<br>
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