Baltische Staaten: Wirtschaft und Sozialsysteme brechen zusammen

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Baltische Staaten: Wirtschaft und Sozialsysteme brechen zusammen
Von Markus Salzmann
26. August 2009

Die internationale Wirtschaftskrise hat in den baltischen Staaten
einen rasanten wirtschaftlichen Niedergang ausgelöst, der mittlerweile
auch den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme der ehemaligen
Sowjetrepubliken erfasst hat. Um die Einbrüche bei den Investitionen
und die steigenden Haushaltsdefizite zu kompensieren, demontieren die
Regierungen die letzten Reste sozialstaatlicher Einrichtungen.

Lettland steckt inmitten der schwersten Rezession seit seiner
Unabhängigkeit. Allein im zweiten Quartal 2009 ist die Wirtschaft um
19,6 Prozent eingebrochen. Im Nachbarstaat Litauen beträgt der
Rückgang sogar 22,4 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt Estlands sank im
vergangenen Jahr um 16,6 Prozent. Alle Anzeichen deuten darauf hin,
dass die Talfahrt weiter anhalten wird.

Zuvor hatten die baltischen Staaten mehrere Boomjahre mit teilweise
zweistelligen Wachstumsraten erlebt. Nun zeigt sich, dass sie auf Sand
gebaut waren. Nahezu das gesamte Wachstum wurde durch
Direktinvestitionen und Schulden erzeugt. Als aufgrund schwer zu
erhaltender Kredite die Investitionen ausblieben, brachen die kleinen
Volkswirtschaften ein.

Lettland musste Ende letzten Jahres mit der Parex Bank sogar den
zweitgrößten Finanzkonzern des Landes verstaatlichen. Nur durch einen
Notkredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU in Höhe
von 7,5 Mrd. Euro konnte das Land vor dem Bankrott bewahrt werden.

IWF und EU verbanden den Kredit mit drastischen Auflagen. Die
lettische Regierung muss die Staatsausgaben zurückfahren, um das
Haushaltsdefizit bis 2012 unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) zu senken. Allein in diesem Jahr hat die Regierung den Haushalt
um 500 Mio. Lats (714 Mio. Euro) gekürzt. Die rechtsliberale Regierung
unter Valdis Dombrovskis schloss Schulen und Krankenhäuser, kürzte die
Löhne der öffentlich Bediensteten und beschloss weitere Sparmaßnahmen.
Bis 2012 will die Regierung weitere 500 Mio. Lats pro Jahr einsparen.

Über die Hälfte der 56 Krankenhäuser des Landes schließen in den
kommenden Monaten ihre Pforten. Darunter auch das Rgas Prima Slimnca,
mit 650 Betten das größte Krankenhaus Lettlands.

Die Tageszeitung taz berichtete kürzlich über die katastrophalen
Zustände im lettischen Gesundheitswesen. "Seit Juli sind alle Herz-
und Gefäßoperationen gestoppt, soweit sie nicht zur Behebung eines
lebensbedrohlichen Zustands zwingend sind", schreibt das Blatt. Wer
nicht zur Oberschicht gehört, die Krankenhausaufenthalt und
Medikamente selbst bezahlen kann, hat kaum eine Chance auf adäquate
Versorgung.

Viele Ärzte behandeln Patienten trotzdem, um sie nicht zu gefährden,
doch "dafür werden oft die Medikamentenrechnungen nicht mehr bezahlt.
Kürzlich drohte ein Arzneimittelgrossist einzelnen Krankenhäusern an,
ihnen gar keine Medikamente mehr zu liefern. Deren Schulden beliefen
sich nämlich mittlerweile schon auf fast 6 Millionen Euro", schreibt
die taz.

Wer das Glück hat, in einer Klinik behandelt zu werden, muss einen
kräftigen Eigenanteil bezahlen. Der beträgt neuerdings umgerechnet 18
Euro pro Tag, eine Summe, die Rentner und Mindestlohnempfänger nicht
bezahlen können. Die Regierung hat bereits angekündigt, den
Eigenanteil auf 50 Euro pro Tag zu erhöhen.

Gleichzeitig werden Renten und Löhne drastisch gekürzt. "Die Gehälter
im öffentlichen Dienst sinken um 55 Prozent, d. h. ein Lehrer der
Oberstufe bekommt jetzt nicht mehr 600 Euro, sondern knapp 300 Euro im
Monat. Ebenso wird die Durchschnittsrente von 120 Euro auf 80 Euro
herabgestuft. Zusätzlich reduziert sich der staatlich festgelegte
Mindestlohn um 200 Euro. Das Elterngeld wurde halbiert und die
Kinderhilfe gestrichen. Der staatliche Rundfunk bettelte seine Zuhörer
um Spenden an", beschrieb das Eurasische Magazin in seiner
Augustausgabe die lettischen Zustände.

Innerhalb von nur einem Jahr ist die Arbeitslosigkeit in Lettland von
rund sechs auf über 16 Prozent gestiegen. Bis Ende des Jahres wird ein
weiterer Anstieg auf etwa 25 Prozent erwartet. Und während vor den
Arbeitsämtern die Schlangen immer länger werden, ist eine weitere
Absenkung der Arbeitslosenhilfe schon vorprogrammiert.

Ende letzten Jahres betrug die Inflationsrate knapp 18 Prozent. In
diesem Jahr ist sie zwar leicht gesunken, aber für immer mehr Menschen
ist es unmöglich, ihre Miete, Lebensmittel, Strom und Kleidung zu
bezahlen. Und selbst die Senkung der Inflation ging auf Kosten der
einfachen Bevölkerung. Um die Preissteigerungen zu bremsen, senkte die
Regierung die Unternehmensabgabe für Krankheitskosten der
Beschäftigten. Zusätzlich räumte sie Investoren und Unternehmen
Steuerentlastungen und staatliche Kredite ein.

Vielen geht es wie der Sportlehrerin Swetlana Stroganowa, die mit Sohn
und Tochter in einer Dreizimmerwohnung in Riga lebt. Nach der
Gehaltskürzung verdient sie gerade noch 370 Lats (rund 520 Euro) im
Monat. "Das reicht vorne und hinten nicht." Allein die Heizkosten im
Winter summierten sich auf 100 Lats (140 Euro) monatlich.

"Um mich herum verlieren alle ihre Arbeit", erzählt auch Linda, die in
einer Filiale einer Supermarktkette hinter der Fleischtheke steht.
"Wir verdienen immer weniger, geben fast das ganze Geld für die
Wohnung und das Essen aus." Von ihren Rigaer Freunden hätten schon
etliche ihre Autos wieder verkauft. "Die konnten den Kredit nicht mehr
bezahlen. Wir reden gar nicht mehr über die Krise, sondern nur noch
darüber, wie wir sie überstehen." (Standard, 23. Juli 2009)

Vorerst wurden nur die Steuern auf Zigaretten und Alkohol erhöht, doch
geplant sind weitere Steuererhöhungen auf alle Arten von
Verbrauchsgütern. In den ländlichen Gebieten sind zahlreiche Bauern,
die ebenfalls durch die Krise hoffnungslos verschuldet und ohne
Auskommen sind, wieder zu Selbstversorgern geworden, wie ihre Urgroßväter.

Nicht anders ist die Lage in den baltischen Nachbarstaaten Estland und
Litauen. Die litauische Wirtschaft verzeichnete mit 41,3 Prozent den
höchsten Rückgang von Aufträgen in der EU. Auch hier greift die
konservative Regierung zu immer härteren Maßnahmen, um das
Haushaltsdefizit zu bändigen. Vor allem im Gesundheitswesen und im
Bildungssektor werden Kürzungen durchgeführt.

In Estland plant die Regierung von Premier Andrus Ansip ebenfalls
radikale Sparmaßnahmen. Sie mussten bislang zurückgestellt werden,
weil die Anfang des Jahres geplanten Kürzungen zu einem Bruch der
Regierungskoalition geführt hatten. Seither ist die Regierung auf die
Stimmen der Grünen und der Bauernpartei angewiesen.

"So haben sich die Menschen den Kapitalismus nicht vorgestellt",
bemerkte das Eurasische Magazin in Bezug auf die rasant zunehmende
Krise im Baltikum. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion und der Einführung marktwirtschaftlicher Verhältnisse
zeigt sich der wahre Charakter des kapitalistischen Systems immer
deutlicher.

Dies wird unweigerlich zu sozialen und politischen Konflikten führen.
Bereits zu Beginn des Jahres kam es in Lettland und Litauen zu
massiven Protesten und Auseinandersetzungen. Sie kündigen heftige
Klassenkämpfe an.

http://www.wsws.org/de/2009/aug2009/balt-a26.shtml

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