Stieg Larsson: Das verschwundene Testament

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Sun Aug 9 11:20:34 CEST 2009


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Stieg Larsson: Das verschwundene Testament

Die besten Krimis schreibt das Leben. Vier Jahre nach dem Tod von
Stieg Larsson, dessen Krimis posthum die Bestsellerlisten stürmen,
wurde im schwedischen Fernsehen über ein bislang unbekanntes Testament
aus dem Jahre 1977 berichtet. In ihm vererbt Stieg Larsson all sein
„Vermögen in reinem Geld“ der Ortsgruppe Umeå der schwedischen Sektion
der Vierten Internationale.

Björn Mertens

Das jetzt bekannt gewordene Testament wirft ein Schlaglicht auf
weithin unbekannte Facetten des so vielfältigen und intensiven Lebens
von Stieg Larsson. In den wilden 1970er Jahren war er Mitglied der
schwedischen Sektion der Vierten Internationale geworden, die damals
noch KAF (Kommunistiska Arbetarförbundet – Kommunistischer
Arbeiterbund) hieß. Man demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und gegen
Atomkraft, gründete Ökologiegruppen (darunter die Freunde der Erde, in
Deutschland vertreten durch den BUND) und organisierte
Krankenschwestern gewerkschaftlich. Nach seinem Wehrdienst, bei dem er
zum Präzisionsschützen ausgebildet worden war, ging er 1977 nach
Eritrea, wo er bei der Ausbildung der Guerilla helfen wollte.
Unmittelbar vor seiner Abreise verfasste er ein Testament zugunsten
seiner KAF-Ortsgruppe in Umeå, das später in Vergessenheit geriet.

Antirassismus

Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Stockholm nieder, arbeitete er
zunächst bei der Post und versuchte sich nebenbei als freier
Journalist und Schriftsteller. 1979 nahm er eine Stelle bei der
Nachrichtenagentur Tidningarnas Telegrambyrå an, wo er für Grafiken
zuständig war, aber auch Features schrieb und sich um die Nutzung des
Internets bemühte. Politisch konzentrierte er sich auf
antirassistische und antifaschistische Arbeit und wurde zum
anerkannten Experten des Rechtsextremismus in Schweden. Seit 1982
schrieb er Artikel für die antifaschistische britische Zeitschrift
Searchlight. Mitte der 1980er Jahre war er aktiv beim Aufbau der
antirassistischen Bewegung Stoppa Rasismen. 1987 trat aus der Sektion
aus, die sich 1982 in „Socialistiska Partiet“ (SP) umbenannt hatte, um
sich von der „Despotie und Unterdrückung des Stalinismus“ abzugrenzen.
Entgegen anderslautenden Gerüchten war er übrigens (leider) nie
Redakteur oder gar Herausgeber ihrer Theoriezeitschrift Fjärde
Internationalen [Vierte Internationale].

Er blieb der Vierten Internationale trotz inhaltlicher Differenzen,
vor allem in der Bewertung der osteuropäischen Gesellschaften,
freundschaftlich verbunden und war häufiger Autor der schwedischen
Wochenzeitung Internationalen, die von der SP herausgegeben wird. 1990
gelang es uns, ihn für den von Hans-Jürgen Schulz herausgegebenen
Sammelband Sie sind wieder da über den Aufschwung des
Rechtsextremismus in Europa zu gewinnen. Wir wollen es nicht
überbewerten, aber es war praktisch seine erste Buchveröffentlichung.
Zusammen mit Anne-Lena Lodenius schrieb er anschließend das Buch
Extremhögern (1991, 1994) und gemeinsam mit Mikael Ekman
Sverigedemokraterna – den nationella rörelsen (2001), jeweils
Bestandsaufnahmen der extremen und populistischen Rechten in Schweden.

Nachdem Neonazis sieben Menschen umgebracht hatten, gründete Stieg
Larsson 1995 die antirassistische Stiftung Expo. Seit 1999 war er
hauptamtlicher Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift.

Pippi Langstrumpf

Neben seiner Arbeit bei Expo begann er 2001 abends „zur Entspannung“
Krimis zu schreiben: „Ich kam auf die Idee mit Pippi Langstrumpf. Was
wäre aus ihr geworden? Wie wäre sie heute als Erwachsene? Wie würde
man sie nennen? Eine Soziopathin? Lieschen Dampf in allen Gassen? Sie
sieht die Gesellschaft anders als andere. Ich schuf sie als Lisbeth
Salander, 25 Jahr alt, mit einer enormen Extrovertiertheit. Sie nimmt
niemanden wahr, hat keinerlei soziale Kompetenz. So brauchte man ein
Gegengewicht zu ihr. Das wurde Mikael ‚Kalle’ Blomkvist, ein
45-jähriger Journalist. Ein Bruder Tüchtig, der bei einer eigenen
Zeitung mit Namen Millennium arbeitet. Die Handlung kreist um die
Zeitungsredaktion, aber auch um Lisbeth Salander, die wenig von ihrem
eigenen Leben hat.“ [1]

Stieg erlebte den großen Erfolg seiner Bücher nicht mehr. Nach der
Rückkehr von der Mittagspause erlitt er im Büro von Expo einen
Herzinfarkt und starb am 9. November 2004 im Alter von nur 50 Jahren.
Alle drei Bücher der Millennium-Reihe, die er vor seinem Tod noch
fertig gestellt hatte, erhielten posthum hohe Auszeichnungen (darunter
zweimal den skandinavischen Krimipreis Glasnyckeln) und erlebten hohe
Auflagen, weltweit 6 Millionen. Die Rechte wurden in dreißig Länder
verkauft; eine Verfilmung ist in Arbeit. Davon müssten dem Autor
schätzungsweise 100 Millionen Kronen (ca. 10 Millionen Euro) zufallen.
Erbstreit

Mit seiner Lebensgefährtin Eva Gabrielsson, die er mit 18 Jahren im
Vietnam-Komitee von Umeå kennen gelernt hatte, lebte er zwar seit
dreißig Jahren zusammen, war aber aus Sicherheitsgründen nicht mit ihr
verheiratet, da er wegen seiner Arbeit häufig von Neonazis bedroht
wurde und zeitweise im Untergrund lebte. Da es auch kein Testament
gab, fiel Stiegs gesamtes Vermögen an seinen Vater und seinen Bruder,
mit denen er zu Lebzeiten kaum Kontakt hatte. Eva durfte gerade das
behalten, was sich in der Wohnung befand. Ihr wurde von der Familie
sogar mit Rauswurf gedroht, wenn sie nicht den Laptop mit dem
begonnenen Manuskript des vierten Bandes herausrücke. Sie sagte, man
könne die Serie nicht fortsetzen, ebenso wenig wie man einen
angefangenen Picasso zu Ende malen könne. Sie wolle kein Geld, aber
die Verwertungsrechte an den Büchern, an deren Entstehung sie durch
viele Gespräche entscheidend beteiligt war. Bei den Sachbüchern gibt
es inzwischen ernste Schwierigkeiten, weil Aktualisierungen nur noch
mit Zustimmung der Familie möglich sind.

Bei der Durchsicht von Stiegs Hinterlassenschaften stieß Eva dann auf
das 1977 von Stieg verfasste Testament: „Ich bin ja kaum ein reicher
Mann, aber mein Vermögen in reinem Geld (und in dem Punkt bin ich sehr
bestimmt) soll der Umeå-Ortsgruppe des Kommunistischen Arbeiterbunds
zufallen.“ Sie ließ es unbeachtet, weil es nach schwedischem Recht
ohne Beglaubigung unwirksam ist.

Das schwedische TV-Nachrichtenmagazin „Uppdrag granskning“ [Auftrag
Recherche] bekam von der Sache Wind und macht es als große Sensation
auf, die gehörig durch den schwedischen und teilweise sogar
internationalen Blätterwald wirbelte. [2] Die Familie kam unter Druck,
wurde auf der Straße beschimpft und deutete schließlich an, Stiegs
Willen vielleicht doch freiwillig folgen zu wollen – womit sie
meinten, wie sie später präzisierten, dass sie Eva auch das Wenige,
was sie bekommen hatte, noch nehmen und es „den Kommunisten“ geben
wollten.

Die Ortsgruppe Umeå der schwedischen Sektion, die heute Socialistiska
Partiet (SP) heißt, erklärte dazu:

„Unsere Partei beteiligt sich an keinem Erbstreit und feilscht nicht
um Geld. Wir haben keine Beziehung zu irgendeinem persönlich und
wollen niemandem schaden. Wir halten an unseren Idealen Gerechtigkeit
und Gleichbehandlung fest, die auch Stieg Larssons Ideale waren. Wir
meinen, dass Stiegs lebenslange Beziehung mit Eva Gabrielsson
respektiert werden sollte. Die unzeitgemäße schwedische Gesetzgebung,
die die Ehe über andere Paarbeziehungen – seien sie gleich- oder
gemischtgeschlechtlich – stellt, muss von Grund auf reformiert werden.
Menschen sollen nach eigener Entscheidung zusammen leben können, ohne
Unsicherheit und Rechtlosigkeit zu riskieren. Wir bewahren Stiegs
Erinnerung am besten, indem wie den Kampf gegen Rassismus und
Rechtsextremismus und für eine Gesellschaft, die gleichen Wert und
gleiche Rechte aller Menschen respektiert, fortsetzen.“

http://www.inprekorr.de/446-stieg.htm

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