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</head>
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<ul class="art-meta">
<li>15 Jun 2021</li>
<li>Frankfurter Allgemeine Zeitung</li>
<li>Von Thomas Gutschker, Brüssel</li>
</ul>
<h1>NATO sieht Russland und Terror als größte Bedrohungen </h1>
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<div class="clear">
<div class="art-layout-a-2x" id="testArtCol_a">
<h2>Biden betont Beistandsklausel / Merkel: Eigenes Dialogformat
mit China entwickeln</h2>
<p>
T.G. BRÜSSEL. Die NATO stuft Russland und den Terrorismus als
größte „Bedrohungen“ihrer Sicherheit ein, während sie China
als „systemische Herausforderung“betrachtet. So haben es die
dreißig Mitgliedstaaten in der Abschlusserklärung ihres
Gipfeltreffens am Montag in Brüssel dargelegt. Sie warnten
außerdem vor Angriffen auf ihre Computernetze und Satelliten
im Weltall. Dies könne erhebliche Schäden anrichten und als
„bewaffneter Angriff“gewertet werden, der den Bündnisfall
auslöse. Die Verbündeten würden dies „von Fall zu
Fall“entscheiden. </p>
<span class="art-object art-mainimage" id="artObjectWrap"
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style="width:100%;" id="artObject"><em>Foto Reuters </em></a></span><span
class="art-imagetext">Zu Kompromissen bereit: Die Staats- und
Regierungschefs der NATO am Montag im Hauptquartier des
Verteidigungsbündnisses in Brüssel</span>
<p>
Der amerikanische Präsident Joe Biden gab bei seinem ersten
NATO-Treffen ein unzweideutiges Bekenntnis zur
transatlantischen Partnerschaft ab. „Die NATO ist entscheidend
wichtig für amerikanische Interessen“, sagte Biden, als er im
Hauptquartier der Allianz eintraf. Die Beistandsklausel der
Partner sei eine „heilige Verpflichtung“. Generalsekretär Jens
Stoltenberg sagte, die NATO schlage ein „neues Kapitel“auf –
nach der von Spannungen geprägten Ära Trump. Mit dieser
Formulierung beginnt auch das Kommuniqué. </p>
<p>
Zu China, das erstmals in einem solchen Text vorkommt, heißt
es darin: „Die selbsterklärten Ambitionen Chinas und sein
bestimmtes Auftreten stellen systemische Herausforderungen der
regelbasierten internationalen Ordnung und in Gegenden dar,
die für die Sicherheit der Allianz wichtig sind.“Die NATO
verpflichtet sich zu einem „konstruktiven Dialog“mit dem Land,
„wo das möglich ist“. Für diese austarierte Position hatte
sich nicht zuletzt Deutschland eingesetzt. Bundeskanzlerin
Angela Merkel machte sich nach dem Treffen dafür stark, dass
die Allianz ein eigenes Dialogformat mit China entwickelt. </p>
<p>
Die Staats- und Regierungschefs erteilten Stoltenberg den
Auftrag, bis zum nächsten Treffen in einem Jahr ein neues
strategisches Konzept auszuarbeiten. Außerdem beschlossen sie
Kernelemente einer „Nato 2030“genannten Reformagenda. Dazu
gehören mehr politische Konsultationen im Bündnis, der Ausbau
von Partnerschaften und ein Beitrag des Militärs zum
Klimaschutz. Der Gemeinschaftshaushalt der Allianz soll nach
einer Bedarfsanalyse von 2023 an erhöht werden. Drei Jahre
nach dem Wutausbruch Donald Trumps gibt Joe Biden bei seinem
ersten NATO-Treffen ein eindeutiges Bekenntnis zur
transatlantischen Partnerschaft ab. Die Verteidigungsallianz
will ein neues Kapitel aufschlagen. Die gemeinsamen Gegner
sind Russland und China. </p>
<p>
Heute werden wir ein neues Kapitel in den transatlantischen
Beziehungen aufschlagen.“So formulierte es
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, als er am Montagmorgen
vor seinem Hauptquartier den ersten Aufschlag für diesen
Gipfeltag machte. Alles war ins Azurblau der Allianz getaucht:
die Kulisse vor dem Eingang und der Teppich, über den dann die
Staats- und Regierungschefs schritten, vorbei an einem Stück
der Berliner Mauer und einem geschmolzenen Stahlträger des
eingestürzten World Trade Centers, den Eckpfeilern der
jüngeren BündnisGeschichte. Ja, sogar der Himmel, von dem die
Sonne brannte, passte zum NatoBlau. Ein neues Kapitel – das
war schon die wichtigste Botschaft dieses Tages in Brüssel,
des ersten Treffens der Staatsund Regierungschefs nach dem
Ende der Ära Trump. </p>
<p>
Den vermisste niemand, wirklich niemand an diesem Tag. Der ein
oder andere machte das auch deutlich. „Mit Trump war es immer
ein bisschen ungelenk“, sagte zum Beispiel Mark Rutte, der
Niederländer. „Mit Joe Biden ist alles wieder
natürlicher.“Xavier Bettel aus Luxemburg formulierte es so:
„‚America first‘ war bei Trump. ‚Together first‘ ist bei
Biden.“Man hätte auch gerne Justin Trudeau danach gefragt, den
kanadischen Premierminister, aber der lief wortlos an den
Reportern vorbei. Ebenso Emmanuel Macron, der die Allianz 2019
für „hirntot“erklärt hatte und gewiss darauf angesprochen
worden wäre. Kanzlerin Angela Merkel sagte ein paar
unverfängliche Dinge, ohne Fragen zu beantworten. Joe Biden
wählte als einziger einen anderen Eingang. Er schlüpfte erst
am Mittag, leicht verspätet, hinter der Eingangskulisse
hervor, um Stoltenberg offiziell die Hand zu schütteln. </p>
<p>
Es war hier, in diesem Hauptquartier, wo Donald Trump die
Allianz vor drei Jahren in einen kollektiven Schockzustand
versetzt hatte. An einem Tag, den er morgens schon mit einem
Wutausbruch über Deutschland und Nord Stream 2 begonne</p>
<h1>NATO sieht Russland und Terror als größte Bedrohungen </h1>
<p>n hatte, kaperte der damalige amerikanische Präsident eine
Sitzung mit der Ukraine und Georgien, um unvermittelt mit
„gravierenden Konsequenzen“zu drohen, wenn die Mitgliedstaaten
nicht endlich mehr Geld in ihre Verteidigung steckten.
„Amerika kann auch seinen eigenen Weg gehen“, so wurde Trump
hernach zitiert. Viele Anwesende verstanden das als Drohung,
die Allianz zu verlassen, was der Präsident – wie später
herauskam – auch mehrmals intern mit seinen Beratern erörtert
hatte. Merkel besänftigte ihn seinerzeit wieder; öffentlich
verkündete Trump, dass die Verbündeten „mehr zahlen als jemals
zuvor“. Aber der Schaden war angerichtet und nicht wenige
warfen die Frage auf, ob sich das Bündnis davon wieder erholen
werde. </p>
</div>
<div class="art-layout-b-2x" id="testArtCol_b">
<p>
Hat es, wie am Montag zu sehen war. Nach der Bedrohung von
innen ist die Bedrohung von außen wieder in den Mittelpunkt
gerückt. Seitdem Russland 2014 die Krim annektiert und die
Ostukraine destabilisiert hat, befindet sich die Allianz in
einem tiefgreifenden Transformationsprozess: weg von Einsätzen
außerhalb des Bündnisgebiets, zurück zur Sicherung und
Verteidigung des Bündnisgebiets. Diese Entwicklung hat Trump
nicht aufgehalten, auch wenn es immer wieder Fragen gab, wie
er zu Wladimir Putin stand. Sie hat sich in den vergangenen
Jahren noch beschleunigt, weil Moskau Dialogangebote des
Westens – auch der Allianz – ausschlug und stattdessen seine
Konfrontation verschärfte. Das hat die Verbündeten
zusammengeschweißt. </p>
<p>
Am Montag hielten sie nur eine gemeinsame Arbeitssitzung ab,
zweieinhalb Stunden. Das reicht, bei dreißig Chefs, darunter
sechs Frauen, für fünf Minuten pro Land. Eine echte Debatte
kommt so nicht zustande. Das Treffen sei „das Sahnehäubchen
auf der Torte“, so formulierte es ein Diplomat. Die Torte
selbst ist über Wochen gebacken und verziert worden, von
dreißig Konditoren, in einem sehr komplexen Prozess. Genau
genommen, waren es die stellvertretenden Botschafter der
Mitgliedstaaten. Sie hatten die öffentlichen Erklärungen und
das Schlusskommuniqué auszuhandeln, in einem abhörsicheren,
unterirdischen Raum, den sie den „Bunker“nennen. Am
Sonntagnachmittag kamen sie wieder ans Tageslicht und meldeten
Vollzug. </p>
<p> Mehr als vierzig Seiten ist der Text lang, 78 Absätze
insgesamt. Für alles, was die Allianz im nächsten Jahr und
darüber hinaus tun wird, bildet er nun die Grundlage. Jede
Formulierung ist das Ergebnis eines Kompromisses, der die
Perspektiven aller Staaten berücksichtigt – denn die Nato kann
nur im Konsens entscheiden. So entsteht beim Aushandeln ein
gemeinsamer Blick auf die Welt, die Rolle der Nato und
notwendige Veränderungen. Das ist nie einfach, aber diesmal
soll es einfacher gewesen sein als beim vergangenen Mal, 2018
unter Trump. Damals war lange um die Passagen zu Russland, zu
Cyberangriffen und zur Zusammenarbeit mit Georgien und der
Ukraine – den „Mitgliedern in spe“– gerungen worden, diesmal
nicht. </p>
<p> Die „aggressiven Handlungen Russlands“werden, in klarer
Sprache, als „Bedrohung der euro-atlantischen
Sicherheit“eingestuft. Russland stellt damit, neben
„Terrorismus in jeglicher Form“, die größte Gefahr für die
Allianz dar. Warum das so ist, wird in Passagen dargelegt, die
viel ausführlicher sind als vor drei Jahren und in denen alles
vorkommt, was die Nato beunruhigt – von
Desinformationskampagnen über neue Kurz- und
Mittelstreckenraketen bis hin zum jüngsten Aufmarsch nahe der
ukrainischen Grenzen. Es bleibt zwar beim Angebot zum Dialog
mit Moskau, doch heißt es unmissverständlich: „Solange sich
Russland nicht an internationales Recht hält, an seine
internationalen Verpflichtungen und Verantwortung, kann es
keine Rückkehr zum ‚business als usual‘ geben.“ </p>
<p> Am längsten ist dieses Mal über die Passagen zu China
verhandelt worden, das im Kommuniqué vor drei Jahren nicht
einmal vorkam und beim kurzen Treffen der Regierungschefs Ende
2019 nur kurz erwähnt wurde – als Land der „Herausforderungen
und Gelegenheiten“. Jetzt sind Peking zwei Absätze gewidmet,
und die Sprache ist deutlich verschärft worden: „Die
selbsterklärten Ambitionen Chinas und sein bestimmtes
Auftreten stellen systemische Herausforderungen der
regelbasierten internationalen Ordnung und in Gegenden dar,
die für die Sicherheit der Allianz wichtig sind.“ </p>
<p> Das ist nicht mehr weit entfernt vom Begriff des
„Systemrivalen“, den die EU vor gut zwei Jahren geprägt hat.
Die etwas vorsichtigere Formulierung geht auch auf deutsche
Bitten zurück. Berlin wollte zweierlei vermeiden. Erstens,
dass die Eindämmung Chinas zur Bündnisaufgabe wird. Zweitens,
dass die Nato sich in eine Konfrontation wie mit Russland
begibt. Im Ergebnis heißt es nun: „Die Nato erhält einen
konstruktiven Dialog mit China aufrecht, wo das möglich
ist.“Freilich gibt es dafür bisher keinerlei Strukturen – mit
Russland existiert immerhin ein gemeinsamer Rat, der freilich
schon lange nicht mehr getagt hat. </p>
<p> Als Warnung an Russland, China und weitere Länder sind die
Passagen zu neuen Bedrohungen im Cyberspace und im Weltraum zu
lesen. Hier stellt die Allianz klar, dass sie Attacken als
„bewaffnete Angriffe“betrachten „kann“, die den Bündnisfall
gemäß Artikel 5 der Nordatlantikcharta auslösen. Darüber
entscheiden werde der NATO-Rat „von Fall zu Fall“. Für
Cyberangriffe ist das nicht neu, allerdings führen die Staaten
eine neue Figur ein: Es kommt nun nicht mehr auf einen großen
Angriff an, sondern auf die „kumulative Wirkung“. Das soll
Akteure abschrecken, die mit einzelnen Attacken bewusst unter
einer gewissen Schwelle bleiben. </p>
<p> Neu ist, dass nun auch der Weltraum als Domäne der
Kriegsführung fest in der Strategie verankert wird. Angriffe
aus dem All oder im All werden als „eindeutige Herausforderung
der euro-atlantischen Sicherheit“klassifiziert. Ihre Wirkung
auf moderne Gesellschaften könne so schädlich sein wie ein
konventioneller Angriff. Die Nato will so vor allem vor
Angriffen auf Satelliten abschrecken, militärische wie zivile.
Diese Passagen spiegeln – eingestufte – militärische
Beschlüsse wider, welche die Chefs am Montag ebenfalls formal
getroffen haben. </p>
<p> Ein ausführlicher Teil des Kommuniqués befasst sich mit der
Anpassung der Allianz an neue Gefahren in der Weltunordnung.
So bekam Generalsekretär Stoltenberg den Auftrag, bis zum
Gipfeltreffen in einem Jahr – es soll in Spanien stattfinden
–, ein neues strategisches Konzept auszuarbeiten. Das derzeit
noch gültige Konzept ist zehn Jahre alt und erwähnt Russland
noch als „Partner“, der Klimawandel kommt mit einem Satz vor.
Hier will die Nato nun deutlich höhere Ambitionen zeigen und
selbst einen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität im Jahr
2050 leisten. Das wiederum ist Teil des sogenannten „Nato
2030“-Prozesses. Die Mitgliedstaaten wollen, dass das Bündnis
„politischer“wird und seine Konsultationen vertieft. Es soll
außerdem seine globalen Partnerschaften ausbauen und eigene
Kontakte zur „Tech-Community“knüpfen, die heute nicht mehr
primär von Rüstungskonzernen repräsentiert wird. </p>
<p> Diese „höhere Ambitionsniveau“soll sich auch in einem
höheren Gemeinschaftshaushalt für die NATO niederschlagen.
Darum war lange gerungen worden. Stoltenberg hatte für eine
Verdoppelung des Budgets geworben, doch Frankreich und einige
andere Staaten stellten sich quer. Sie setzten durch, dass es
erst eine Bedarfsanalyse geben wird und die Ressourcen erst ab
2023 „steigen“sollen, „wie es notwendig ist“. </p>
<p> Präsident Biden machte derweil auf seine eigene Weise
deutlich, dass die Ära Trump vorüber ist. Schon am Morgen traf
er sich mit den Regierungschefs der drei baltischen Staaten
und versicherte sie seines Rückhalts – was der Vorgänger noch
von höheren Verteidigungsausgaben abhängig gemacht hatte. Als
Biden dann Stoltenberg begrüßte, sagte er, die Nato sei
„entscheidend wichtig“für sein Land. Ihr Bündnisversprechen
sei ihm „heilige Verpflichtung“. </p>
</div>
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