<html>
  <head>

    <meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=UTF-8">
  </head>
  <body>
    <br>
    <ul class="art-meta">
      <li>18 Nov 2020</li>
      <li>Frankfurter Allgemeine Zeitung</li>
      <li>Von Jürg Altwegg, Genf</li>
    </ul>
    <h1>Ein Genozid an den Armen?<a class="button b-translate b-exp"><span></span></a><span
        class="slider"><span></span></span></h1>
    <div class="clear">
      <div class="art-layout-a-2x" id="testArtCol_a">
        <h2>Ein französischer Verschwörungsfilm über Corona findet im
          Netz Millionen Zuschauer. „Hold up“ist ein Lehrbeispiel für
          moderne Propaganda.</h2>
        <p>
          Das Virus Sars-CoV-2 wurde von Menschenhand geschaffen und in
          die Welt gesetzt, um die Armen zu töten – offen bleibt
          allenfalls die Frage, ob es vom französischen „Institut
          Pasteur“oder dem „P4-Geheimlabor in Wuhan“entwickelt wurde. Es
          gibt ein wirksames und millionenfach bewährtes Medikament, das
          verboten wurde, weil es billig ist. Aber Corona ist
          ungefährlich – tödlich werden die Impfungen sein. Die Tests
          sind total unzuverlässig und die Masken schädlich. Die Eliten
          proben die „Unterwerfung der Gesellschaft“und die Diktatur des
          Geldes durch die Gesundheit. Das ist, nüchtern betrachtet, die
          Botschaft eines schwindelerregenden Films. Wer ihn gesehen
          hat, braucht lange, um sich vom Taumel der Phrasen zu erholen.
        </p>
        <p>
          Am 11.11. um elf Uhr wurde der Film im Internet aufgeschaltet.
          Fast drei Stunden dauert er, „Hold up“lautet sein Titel:
          „Covid-19. Blick auf ein Chaos“. Realisiert hat ihn der
          frühere Journalist Pierre Barnérias, finanzieren konnte er ihn
          mit Spenden: Das Crowdfunding übertraf das geplante Budget um
          das Zehnfache. Die Schauspielerin Sophie Marceau machte
          Werbung für den Film. </p>
        <p>
          Als Zeugen der Verschwörungstheorie werden
          Universitätsprofessoren, Mediziner, Nobelpreisträger befragt
          und im Vorspann des „Bürgerfilms“insgesamt „5232
          Mitarbeiter“aufgezählt. In Frankreich, das sich abermals im
          Lockdown befindet, avancierte „Hold up“innerhalb weniger
          Stunden zum gesellschaftlichen Phänomen und politischen
          Skandal. Am vergangenen Wochenende widmete ihm
          „Libération“fünf Seiten – zwei davon dem „Fakten-Checking“. </p>
        <p>
          Der frühere Gesundheits- und Kulturminister Philippe
          Douste-Blazy, der Arzt ist und sich vom einschlägig bekannten
          Barnérias interviewen ließ, beklagt im Nachhinein „eine
          Falle“und verlangt vor Gericht, dass sein Auftritt
          herausgeschnitten werde. „Die Demokratie in Frankreich wird
          geknebelt“, schwadroniert die Abgeordnete Martine Wonner im
          Film. Von ihrer Partei, Macrons „République en Marche“, war
          sie bereits ausgeschlossen worden. Jetzt wird ihr Rücktritt
          aus dem Parlament gefordert. Auf Twitter lobt sie die
          „Dokumentation der Krise als Frucht von monatelangen
          Recherchen“. </p>
        <p>
          Mehrere Plattformen – Dailymotion, Vimeo – haben den Film
          inzwischen gesperrt. Auf Youtube ist er noch immer zu sehen.
          Man müsste ihn in den Schulen zeigen: als Lehrstück über
          Verschwörungstheorien, ihre Methoden, Rhetorik und Ästhetik.
          Auf der Affiche von „Hold up“sind zwei furchterregende
          maskierte Personen zu sehen, anstelle der Augen fixieren die
          Logos der Nachrichtensender den Betrachter. </p>
        <p>
          Die Vorstellung von Menschen in Covid-Lagern </p>
        <p>
          Er beginnt mit Gemeinplätzen. Jean-Dominique Michel, Professor
          für Anthropologie der Gesundheit an der Universität Genf, hebt
          an: „Wenn man Menschen dazu bringt, dass sie sich in
          Todesgefahr fühlen, kann man sie nach Belieben
          manipulieren.“Astrid Stuckelberger, als Ärztin und
          Universitätsprofessorin angekündigt, unterstellt der
          Weltgesundheitsorganisation WHO, ein Amt für die Förderung von
          Krankheiten zu sein: Nur so könne man Milliarden verdienen.
          Als Gipfel der Absurdität bezeichnet sie, dass die Regierung
          den Bürgern, die sie wählten, bei Missachtung der Regeln
          Bußgelder abnötigt. Eine Hebamme empört sich, dass Frauen beim
          Gebären Masken tragen müssen – mit katastrophalen Folgen für
          das Neugeborene, das auf dieser Welt als Erstes ein maskiertes
          Gesicht erblickt. Es folgen Hinweise auf zwanzig Prozent aller
          Kinder, die sexuell missbraucht würden (Quelle: Europarat),
          und dass im Lockdown alles noch schlimmer werde. Vom
          Maskentragen geschundene Wangen werden gezeigt. Ein Schüler
          sei vom Gymnasium ausgeschlossen worden. Der Logopäde hat es
          mit Kindern zu tun, die seit Corona einen Elefanten nicht mehr
          von einem Kaninchen unterscheiden und eine Woche später selbst
          eine Karotte nicht mehr erkennen können: „Wir haben bald
          Zustände wie in den rumänischen Waisenhäusern.“Irgendwann in
          diesem Film ist ahnungsvoll von geplanten Covid-Lagern die
          Rede. </p>
        <p>
          Aufgerollt wird der Streit um das Medikament
          Hydroxychloroquin, der in Frankreich als Glaubenskrieg
          zwischen den Eliten und den Populisten geführt wurde.
          Propagiert wurde es vom Epidemiologen Didier Raoult in
          Marseille, gegen den inzwischen eine Anklage wegen
          „Scharlatanerie“läuft. Der frühere Minister Douste-Blazy, die
          Bürgermeisterin von Marseille, Michèle Rubirola (Grüne,
          Ärztin, Impfskeptikerin), und ihr Kollege in Nizza, Christian
          Estrosi, unterstützten Raoult. Dessen Anhänger kritisieren die
          „jüdische Lobby“im Gesundheitsministerium, die das billige
          Medikament bekämpfe, weil man damit kein Geld verdienen könne.
          Die Ärzte diagnostizierten Covid, weil sie dann besser bezahlt
          würden. Ergo seien die Statistiken falsch und Obduktionen
          logischerweise verboten. </p>
      </div>
      <div class="art-layout-b-2x" id="testArtCol_b">
        <p> Eine junge Geisteswissenschaftlerin, die voller
          Selbstbewusstsein ihre akademischen Titel aufzählt, doziert:
          „Die Privilegierten fühlten sich in der Geschichte stets von
          den Nichtprivilegierten verfolgt. Sie reagieren darauf mit
          Komplotten gegen ihre Feinde. Neu ist heute nur, dass man das
          nicht mehr denken und sagen darf.“ </p>
        <p> Medien, Politik und Wissenschaft als Teil des Weltkomplotts
        </p>
        <p> Es geht noch weiter: Die Medien, so heißt es, seien korrupt,
          sie steckten mit der Politik und Wissenschaft unter einer
          Decke. Die Gelder der staatlichen Presseförderung werden als
          Preis ihrer Käuflichkeit zitiert. Die Nachrichtenagentur AFP
          sei für Journalisten die „Stimme Gottes“, der sie gehorchen –
          in „Hold up“wird sie als Zentralorgan der CovidVerschwörung
          vorgeführt. </p>
        <p> Deren Ziele und Drahtzieher dürfen selbstverständlich nicht
          im Dunkeln bleiben: Eine Weltregierung im Namen des Kapitals
          wollen sie installieren. Das „World Economic Forum“ist ihr
          Organ, „Great Reset“der Name des Projekts. Von Covid habe nur
          die Börse profitiert – an erster Stelle
          Technologieunternehmen, Amazon, Apple, Bill Gates. Diese
          träumen von der Unsterblichkeit des Menschen und seiner
          Entmaterialisierung. Dank Corona verwirklichten sie das
          bargeldlose Bezahlen. Zur Durchsetzung der 5G-Technologie sei
          das Virus entwickelt und verbreitet worden, vom „Institut
          Pasteur“in Paris, behauptet Nobelpreisträger Luc Montagnier,
          der das Aids-Virus entdeckt hatte. </p>
        <p> Auch für die Dramaturgie der Ereignisse hat „Hold up“eine
          Erklärung und zeigt, wie aus der vermeintlichen Verschwörung
          Wirklichkeit wird. Der Film übernimmt Szenen einer
          Pandemie-Katastrophenübung in den Vereinigten Staaten. Der
          Sender, der darüber berichtet, trägt den Namen „GNN“.
          Gleichzeitig hätten in Wuhan die VII. Sommer-Militärwettspiele
          stattgefunden, bei denen Soldaten aus aller Welt erkrankten.
          Davon hatten tatsächlich auch französische Athleten berichtet.
          Der Film ordnet es in seine Verschwörungstheorie ein: „Bill
          Gates hat bekommen, was er wollte“, sagt die Stimme aus dem
          Off. Die ganze Welt werde geimpft. Der Kommentar verkneift
          sich den Hinweis, dass den Menschen mit der Spritze auch ein
          Chip eingepflanzt werde. Dass es bisher keine Toten gegeben
          habe, sei der Natur zu verdanken, die uns vor dem Virus
          schütze: „Aber der Krieg ist eröffnet.“ </p>
        <p> Nach all den falschen Fakten, düsteren Visionen und
          unerschütterlichen Gewissheiten zum Anschlag von „Great
          Reset“auf die Menschheit und die Menschlichkeit fließen die
          Tränen einer Frau. Leise schluchzt sie über das, was die
          Gesellschaft den Alten antue. Und über die Zukunft, die sie
          den Jungen bereite. </p>
        <p> Der Film erschüttert Frankreich. Der Sender France Inter hat
          für die zwei Tage des Wochenendes 2,8 Millionen Zugriffe
          gezählt. Das einst renommierte Boulevardblatt „France Soir“,
          das nur noch online erscheint, attackiert unterdessen die
          „Zensur-Maßnahmen“gegen den Film. „Le Monde“hingegen fragt,
          wie man „die Epidemie der Verschwörungstheorien“am besten
          bekämpft. Ihre Verbreitung und Akzeptanz in der Gesellschaft
          sei beängstigend und bedrohe die Demokratie. Noch haben sich
          keine Vertreter der Regierung zu Wort gemeldet. Den
          redseligsten Politikern und Wissenschaftlern hat es die
          Sprache verschlagen. Nur Marine Le Pen zeigt sich
          „erstaunt“über die „Hysterie“rund um den Verschwörungsfilm. </p>
        <p> Dessen Pointe formuliert die Soziologin Monique
          Pinçon-Charlot. Sie hat eine respektable akademische Karriere
          an renommierten Instituten hinter sich und gemeinsam mit ihrem
          Mann viele Bücher geschrieben, zuletzt „Macron und die
          Superreichen“. Auch sie hat sich inzwischen von „Hold
          up“distanziert – ihre Aussage aber keineswegs revidiert. Den
          Krieg, der begonnen habe, bezeichnet sie als „Dritten
          Weltkrieg“. Es sei ein Klassenkampf der Reichen, der zu einem
          „Holocaust gegen die Armen“führe: „Mit 3,5 Milliarden Opfern,
          die in der Welt von morgen nicht mehr gebraucht werden.“ </p>
      </div>
    </div>
  </body>
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