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<ul class="art-meta">
<li>Article rank <span class="art-rank-0"></span></li>
<li>9 Oct 2020</li>
<li>Frankfurter Allgemeine Zeitung</li>
<li>Von Michaela Wiegel, Paris</li>
</ul>
<h1>Angst vor dem Kollaps </h1>
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<div class="art-layout-a-2x" id="testArtCol_a">
<h2>Frankreich wappnet sich für eine zweite Infektionswelle.
Streit gibt es um die Zahl der tatsächlich verfügbaren
Intensivbetten.</h2>
<p> Die französische Hauptstadt muss sich auf eine „sehr heftige
Flutwelle“vorbereiten, hat der Leiter der regionalen
Gesundheitsbehörde ARS, Aurélien Rousseau, am Donnerstag
gewarnt. Die Zahl der Neuinfektionen hat mit annähernd 19 000
im ganzen Land innerhalb der vergangenen 24 Stunden einen
neuen Höchststand erreicht. Besonders schwer ist Paris
betroffen. In der gesamten Hauptstadtregion ist mit sofortiger
Wirkung der Katastrophenplan „plan blanc“in den Krankenhäusern
aktiviert. Alle nicht unbedingt notwendigen chirurgischen
Eingriffe werden damit verschoben, um die Betten auf der
Intensivstation für Covid-19-Patienten freihalten zu können.
Krankenhausleitungen können Urlaubssperren verhängen und
Mitarbeiter in den Dienst zurückholen, die nach dem
Arbeitseinsatz im Frühjahr Überstunden abgebaut haben. </p>
<span class="art-object art-mainimage" id="artObjectWrap"
style="height: 30.4em;"><a><img
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</em></a></span></div>
<div class="art-layout-a-2x"><span class="art-object
art-mainimage" id="artObjectWrap" style="height: 30.4em;"><a><em>Foto
Getty </em></a></span><span class="art-imagetext">Dicht
gedrängt: Fahrgäste in der Pariser Metro am Donnerstag</span>
<p> Frankreich setzt seine intensive Testkampagne fort. Pro
Woche werden 1,1 Millionen Tests vorgenommen, das sind mehr
als derzeit in Deutschland. Aber die langen Wartezeiten von
mehr als einer Woche zur Auswertung führen dazu, dass
Kontaktketten oftmals nicht unterbrochen werden können. Der
Generalsekretär des Ärzteverbands MG France, Jean-Christophe
Nogrette, forderte, die neuen Schnelltests für Speichelproben
auszuweiten, um die Labore zu entlasten und Erkrankte
schneller isolieren zu können. „Die Speicheltests sind ein
Instrument, das auch wir Hausärzte einsetzen könnten“, sagte
Nogrette im Radiosender France Info. Die französische
Gesundheitsaufsicht Haute Autorité de Santé hat die Einführung
der Speichel-Schnelltests genehmigt, will sie aber bislang nur
bei Franzosen mit starken Symptomen einsetzen. Zudem sollen
nur Labore Zugang zu den Tests haben, die von der
Krankenversicherung bezahlt werden. </p>
</div>
<div class="art-layout-b-2x" id="testArtCol_b">
<p> Der Nachweis des Sars-CoV-2-Virus wird in Frankreich fast
ausschließlich anhand von Nasen-Rachen-Abstrichen vorgenommen.
Der Prozentsatz der positiven Testergebnisse steigt
kontinuierlich an. Inzwischen liegt er bei 9,1 Prozent.
Präsident Emmanuel Macron hat schärfere Beschränkungen in den
Gebieten gefordert, „in denen das Virus sich schnell
verbreitet“. Es wurde erwartet, dass Gesundheitsminister
Olivier Véran am Donnerstagabend striktere Regeln für Lille,
Lyon, Grenoble, SaintÉtienne und Toulouse verkündet. In Paris
und den umliegenden Kommunen sind bereits alle Cafés und Bars
geschlossen. Für Restaurants gelten strikte Hygieneauflagen. </p>
<p> Die Regierung reagiert nervös, weil das Krankenhaussystem
einer zweiten Infektionswelle nicht standzuhalten droht. Eine
der größten Schwächen ist die chronische Personalnot. „Wir
werden dieses Mal wesentlich schneller ausgelastet sein als im
März“, warnte der Leiter der Notaufnahme des Pariser
Großkrankenhauses Georges Pompidou, Philippe Juvin. Im
Frühjahr habe es viel personelle Verstärkung aus anderen,
weniger schwer getroffenen Regionen in Frankreich gegeben.
Jetzt kämpften alle Krankenhäuser mit den Folgen der Pandemie
und das eigene Personal sei von den Anstrengungen im Frühjahr
noch erschöpft, sagte Juvin. </p>
<p> Frankreich hat entgegen anderslautenden Versprechen
Gesundheitsministers Olivier Véran die Zahl der verfügbaren
Intensivbetten während der relativ ruhigen Sommermonate nicht
erhöht. Im Juli hatte Véran angekündigt, die Zahl der
Intensivbetten werde von 5000 auf 12 000 im Herbst
aufgestockt. „Es handelt sich um eine bewusste Lüge, wenn man
den Franzosen weismachen will, dass es 12 000
Intensivbettenplätze gebe“, entrüstete sich Djillali Annane,
Leiter der Intensivstation im Krankenhaus Raymond-Poincaré in
dem Pariser Vorort Garches. „Die Wahrheit ist, dass wir über
5058 Intensivbettenplätze in ganz Frankreich verfügen, zehn
Prozent davon in Privatkliniken“, sagte er der Zeitung „Le
Figaro“. </p>
<p> Notaufnahmeleiter Juvin sagte im Fernsehsender BFM-TV, dass
zwischen 500 und 600 der Intensivbettenplätze aus
Personalmangel nicht genutzt werden könnten. Der Berufsverband
der Intensivmediziner hat den Rechnungshof in einem Schreiben
vom 30. September auf den Personalnotstand hingewiesen. 26
Prozent der Planstellen in den staatlichen Krankenhäusern sind
unbesetzt. Den chronischen Personalmangel erklärt die Chefin
der Infektiologie-Abteilung am Pariser Krankenhaus Bichat,
Anne Gervais, mit den unattraktiven Arbeitsbedingungen. „Im
Durchschnitt hören Mitarbeiter des Pflegepersonals nach fünf
bis sieben Jahren auf, weil sie die Dauerüberlastung nicht
mehr ertragen und im privaten Bereich mehr verdienen“, sagte
Gervais der Zeitung „La Croix“. Der französische
Krankenhausverband hat derzeit 5000 offene Stellen im
ärztlichen und im Pflegebereich ausgeschrieben. Im Juli hat
das Gesundheitsministerium 8,2 Milliarden Euro für allgemeine
Gehaltserhöhungen in den Pflegeberufen freigegeben.</p>
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