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<li>Article rank <span class="art-rank-0"></span></li>
<li>7 Oct 2020</li>
<li>Frankfurter Allgemeine Zeitung</li>
<li>THOMAS THIEL</li>
</ul>
<h1>Ein Katalysator für das Internet </h1>
Sauber gerechnet: Volker Lindenstruth revolutioniert den Computer
von innen her
<div class="clear">
<div class="art-layout-a-2x" id="testArtCol_a">
<p> <a class="from">From page N1</a> Es hat sich in der
Generation Greta noch nicht herumgesprochen, dass auch das
Internet eine Rußspur hinter sich herzieht. Ein Mail
beispielsweise ist nicht nur ein kommunikativer, sondern auch
ein physischer Vorgang, der umgerechnet ein Gramm Kohlendioxid
produziert, eine Stunde Videostream ist so umweltfreundlich
wie eine Stunde Autofahren, und rechnet man die Milliarden
Likes und Suchanfragen zusammen, die täglich durch die
Netzknoten rauschen, dann könnte man dafür viele Male über den
Atlantik fliegen. Ganz zu schweigen von den Bitcoin-Farmen,
die so viel Strom wie die Schweiz verbrauchen, der aber nicht
nur von freundlichen Solarsegeln und Windrädern, sondern auch
von schmutzigen Kohlekraftwerken erzeugt wird. Dass nicht vor
Server- und Mining-Farmen protestiert wird, liegt wohl nur
daran, dass die physische Realität des Internets immer noch im
virtuellen Nebel liegt. </p>
<span class="art-object art-mainimage" id="artObjectWrap"
style="height: 0em;"><a><img
src="https://i.prcdn.co/img?regionguid=715be1d6-b48d-43ac-9bbc-ee6504cf3a1d&scale=344&file=30052020100700000000001001®ionKey=7zl%2bIbx1DZpnZplQ55Ia%2bw%3d%3d"
id="artObject" width="232" height="159"><em><br>
</em></a></span></div>
<div class="art-layout-a-2x"><span class="art-object
art-mainimage" id="artObjectWrap" style="height: 0em;"><a><em>Foto
Uwe Dettmar </em></a></span><span class="art-imagetext">Hochleistungstandem:
Volker Lindenstruth vor einem seiner Superrechner</span>
<p> Zusammen verschlingen die großen Rechenzentren, die
Kraftwerke des Internets, heute 2,7 Prozent des Stroms in
Europa. Es ist keine gewagte Prognose, dass ihr Verbrauch mit
der fortschreitenden Digitalisierung wachsen wird. Zumindest
die großen IT–Konzerne, die nicht länger als Umweltsünder
dastehen wollen, haben darauf reagiert und, wie Apple und
Amazon, gigantische Solar- und Windparks für ihre
Rechenzentren gebaut oder ihre Server an den Polarkreis
verlegt, um den gigantischen Energieaufwand für die Kühlung zu
reduzieren. </p>
<p> Man kann auch den umgekehrten Weg gehen und die Rechner und
ihre Gehäuse, die Rechenzentren, selbst ökologisch
modernisieren. Volker Lindenstruth ist ein Pionier dieser
Technik. 2008 kam der promovierte Physiker an die Universität
Frankfurt, um dort ein Hochleistungsrechenzentrum aufzubauen.
In den folgenden Jahren hat er nicht nur dort einige der
sparsamsten Rechner der Welt gebaut. Der Loewe CSC war
europäischer Spitzenreiter in Sachen Energieverbrauch, mit dem
Rechenzentrum „Green Cube“, das am HelmholtzZentrum für
Schwerionenforschung GSI in Darmstadt steht, eroberte er 2014
den Spitzenrang auf der grünen Weltrangliste, die sich in
rasendem Tempo fortentwickelt. </p>
<p> Lindenstruth hat den Computer in zwei Schritten von innen
her revolutioniert. Die erste Pioniertat war, Prozessoren
durch Grafikkarten zu ersetzen. Das mag verwirren, weil der
Prozessor als Schaltzentrale jedes Rechners gilt. Das muss er
aber nicht sein. Nicht zuletzt den Fortschritten der
Spieleindustrie ist es zu verdanken, dass die Grafikkarte ihm
den Rang abgelaufen hat. Bei der optischen Gestaltung
dynamischer Spiellandschaften ist inzwischen eine Rechenkraft
aufzubringen, die jeden Prozessor überfordert. Während der
Prozessor mit einem Rechenwerk auskommen muss, verfügt die
Grafikkarte über mehrere tausend Rechenwerke, die eine Aufgabe
parallel abarbeiten können. Volker Lindenstruth kam so auf die
Idee, die Grafikkarte zur zentralen Recheneinheit zu machen.
Einige Unternehmen wie Airbus haben sich diesem Schritt
angeschlossen, auch das Forschungszentrum Jülich, das über
zwei der schnellsten Rechner der Welt verfügt, plant
bereichsweise den Wechsel zur Grafikkarte. Insgesamt geht der
Umbau aber nur langsam voran, was Lindenstruth auf den damit
verbundenen Programmieraufwand zurückführt. Jeder Algorithmus
muss umgeschrieben werden. </p>
</div>
<div class="art-layout-b-2x" id="testArtCol_b">
<p> Lindenstruth hält das aus eigener Erfahrung für eine lösbare
Aufgabe und den allgemeinen Umstieg deshalb nur für eine Frage
der Zeit. Auf Dauer, so Lindenstruth, könnten die wachsenden
Rechenaufgaben der Wissenschaft mit einem Prozessor gar nicht
mehr gelöst werden. Und die Stromrechnung für Computertechnik
bringe die Hochschulen heute schon an die Belastungsgrenze.
Supercomputer der obersten Liga verursachen rund 1,5 Millionen
Euro Stromkosten im Jahr. Die weltweit größten ihrer Art
kommen gar auf mehrere zehn Millionen jährlich. Der Umstieg
auf die deutlich sparsamere Grafikkarte würde den
Energieverbrauch nach Lindenstruth um gut die Hälfte senken. </p>
<p> Darin inbegriffen ist noch nicht der zweite Sparfaktor: der
Umbau der Rechenzentren, deren Kühlung Unmengen an Energie
verschlingt – was vor allem daran liegt, dass sie mit Luft
gekühlt werden. Microsoft hat sein europäisches Rechenzentrum
sogar im Meer vor der schottischen Küste versenkt, um die
horrenden Kühlkosten zu sparen. Andere Überlegungen gehen
dahin, die beim Rechnen entstehende Wärme für andere Zwecke,
etwa die Heizung von Nebengebäuden, zu nutzen oder schon die
Chips selbst mit Wasser zu kühlen, was über den Prototyp aber
noch nicht hinausgekommen ist. </p>
<p> Lindenstruth lässt dagegen Leitungswasser durch die Server
zirkulieren, das abgekühlt durch ein weiteres
Wärmetauschsystem wieder dorthin zurückfließt, wo es
hergekommen ist: in den Main oder jeden anderen Fluss, an dem
der Computer steht. Auch dieses System, das er hat patentieren
lassen, hat nach seinen Angaben eine beispielhafte
Energiebilanz: Im Unterschied zur traditionellen Luftkühlung,
die zwischen dreißig und vierzig Prozent des für das Rechnen
aufgewendeten Stroms verbrauche, komme sein Rechenzentrum
Green Cube mit weniger als sieben Prozent aus. Würde man alle
Rechenzentren auf diese Art kühlen, dann ließen sich nach
Lindenstruths Rechnung 15 Milliarden Euro und 21 Millionen
Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen. </p>
<p> Bisher verhindern wirtschaftliche Fehlanreize den
ökologischen Umbau. Die Betreiber der großen Rechenzentren
haben kein Interesse am Sparen, weil sie die Kosten auf die
Mieter umlegen können. Natürlich lassen sich nicht alle
fünfzigtausend Rechenzentren von heute auf morgen
modernisieren. Aber welchem Politiker würde die Aussicht auf
„grüne Digitalisierung“, die Milliarden spart, nicht ein
Lächeln ins Gesicht zaubern? Manchmal dauert es sehr lange,
bis die Neuigkeiten aus der Wissenschaft in der Politik
ankommen. </p>
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