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<h1 class="css-1z36ek">- Günther Anders. Philosophieren
im Zeitalter der technologischen Revolutionen.</h1>
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<p>Alles prädestinierte Anders für eine
regelrechte akademische Laufbahn. 1902 als
Günther Sigmund Stern in Breslau geboren,
ging er als Sohn der Psychologen Clara und
William Stern, in seiner Eigenschaft als
kindliches Studienobjekt, früh in die
Forschungsliteratur ein: <em>Person und
Sache</em> war das Buch des Vaters
betitelt, womit dieser die personalistische
Psychologie begründen sollte. Der Titel
klingt wie eine Themenvorgabe für den Sohn.</p>
<p>Anders studiert bei Cassirer und Panofsky
Philosophie und Kunstgeschichte, schließlich
in Freiburg bei Heidegger und Husserl, bei
dem er im Alter von 21 Jahren promoviert.
Der Versuch jedoch, sich mit einer
Abhandlung zur Musikrezeption bei Paul
Tillich zu habilitieren, scheitert 1929. Der
junge Philosoph, inzwischen mit Hannah
Arendt verehelicht, lässt sich 1930 in
Berlin nieder, wo er regelmäßig für den
Börsen-Courier schreibt. Von diesem Moment
an wählt er sich 'Anders' als Pseudonym,
mehr vielleicht: als eine im Namen
mitschwingende Selbstverpflichtung,
Nonkonformismus, Anders-Sein zu leben und
stets ein kritisches 'Aber' zu artikulieren?
Der Nationalsozialismus zwingt den Juden
1933 zur Emigration nach Paris. Im Gegensatz
zu Walter Benjamin gelingt ihm drei Jahre
darauf die Weiterflucht in die USA, wo er
sich zeitweise als Fabrikarbeiter
durchschlagen muss, selbst wenn er mit
anderen Emigranten wie Brecht, Thomas Mann,
Alfred Döblin, Marcuse oder Adorno verkehrt
und für die Zeitschrift für Sozialforschung
rezensiert.</p>
<p>Bevor es zur Veröffentlichung seines
Hauptwerks kam, <em>Die Antiquiertheit des
Menschen</em>, 1956, war Anders 1950 nach
Europa zurückgekehrt und hatte diverse
Lehrstuhlangebote - sowohl von ostdeutscher
als auch von westdeutscher Seite -
abgelehnt.</p>
<p>In seiner kompakten Studie über Anders'
Philosophieren bemüht sich Liessmann, die
Linien von der frühen negativen
Anthropologie nachzuzeichnen, die dann in
der These von der Antiquiertheit des
Menschen gipfeln. Was Anders zum Nihilisten,
zumindest zum unheilbaren Skeptiker hätte
disponieren können, verkehrt sich unter den
historischen Ereignissen des Jahres 45 zu
einer engagierten Philosophie. Mit dem
Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki
sowie den in den Nürnberger Prozessen
verhandelten millionenfachen Tötungen in den
Konzentrationslagern vollzieht er gleichsam
einen Paradigmenwechsel vom</p>
<p>'Mensch ohne Welt' zur 'Welt ohne Mensch'.!
Diese "philosophische Anthropologie im
Zeitalter der Technokratie" entzündet sich
also an den Tragödien von Auschwitz und
Hiroshima. <em>Die Antiquiertheit des
Menschen</em> verweist ganz allgemein auf
die Diskrepanz Mensch/technologisches
Universum, die Kluft zwischen Homo sapiens
und seinen technischen Erfindungen, die
Anders als prometheisches Gefälle zwischen
"Gerät" und "Leib", "Machen" und
"Vorstellen", "Tun" und "Fühlen"
bezeichnet./^Am Fließband hatte er
leibhaftig erfahren, was Automation
bedeutet. "Man glaubt kein Ende, man sieht
kein Ende -der Fortschrittsbegriff hat uns
apokalypseblind gemacht." Im Stil seiner
"Übertreibungen in Richtung Wahrheit"
zugespitzt formuliert: die Technik sei zum
"Subjekt der Geschichte" in der
"Volksgemeinschaft der Apparate" gewordenl
Barbarei ist für Anders die unmittelbare
Konsequenz der Technokratie: sei es die
"fabrikmäßige Liquidierung von
Menschenmassen" in allen Lagern der Welt,
sei es das nicht minder sadistische
Verdampfen, Verstrahlen, Verstümmeln
hunderttausender japanischer Zivilisten
durch die Atombombe. Es sind dies nur zwei
Beispiele für "Leichenherstellung" im
Großmaßstab, die sich dem (psychologischen
Gesetz verdanken, daß dem Einzelnen das
Töten um so leichter fallt, je größer sein
Abstand zum Opfer ist, d.h. je unsichtbarer
und somit abstrakter für den Täter die
subjektiven Qualen des jeweiligen
,Menschenmaterials' sind. Bisher haben
Konventionen verhindere chemische oder
bakterielle Massenvernichtungswaffen in
Kriegen zum Einsatz kamen - andererseits
weist nichts darauf hin, dass die Militärs
einschlägige Forschungen eingestellt hätten.
Mit Hiroshima und Nagasaki beginnt insofern
eine neue Zeitrechnung, als die Fähigkeit
der Menschheit, sich selbst auszulöschen,
demonstriert wurde. Führte die <em>Die
Antiquiertheit des Menschen</em> 1956 noch
die "Seele" im Untertitel, so wird im 1980
erschienenen Folgeband die "Zerstörung des
Lebens im Zeitalter der dritten
industriellen 'Revolution' prognostiziert.
Nicht mehr steht nur die gewissermaßen
narzisstische Kränkung des Mängelwesens
Mensch durch vermeintlich perfekte Technik
zur Debatte. Genforscher wie auch
Informatiker scheinen daran zu arbeiten -
unter dem Vorwand, das Auslaufmodell zu
optimieren -, die Spezies Mensch überflüssig
werden zu lassen. Für Anders birgt die
Emanzipation des homo faber zum homo creator
die Gefahr seiner Selbstabschaltung. Die
harte, apokalyptische Variante erblickte er
im künstlich produzierten Element Plutonium
-jedes Kernkraftwerk galt ihm als
potentielle Atombombe. In der Entzifferung
des menschlichen Genoms und in der Folge
davon: der Genmanipulation und dem
Klonieren, wollte er die weiche Variante
sehen, den Menschen zum Rohstoff für die
Produktion neuartiger Produkte oder
Produktionsmittel" zu degradieren. Wenn wir
die Welt als eine "auszubeutende Mine"
behandeln, könnte in Analogie dazu, schreibt
er, die Frage nach dem Wesen des Menschen,
"wenn der Mensch als Rohstoff ad libitum
benutzt werden würde, vollends sinnlos
werden".</p>
<p>Die polemischen Äußerungen dieses Ketzers
zu den Medien Fotografie, Radio und Femsehen
} verstehen sich fast von selbst,
konditionieren sie doch unser Verhalten
maßgeblich. "Nachrichten" werden von Anders
als camouflierte Urteile, Wertungen
entlarvt, im noch jungen Femsehen komme die
Welt lediglich als "Phantom und Matritze"
vor. Jean Baudrillard wird dies als
Simulation denunzieren. Anders revidiert
gelegentlich sein Urteil -insbesondere im
Hinblick auf die Auswirkungen der
Vietnam-Kriegsbericht-Dokumentationen.
Fatalerweise aber hat das Diktum "im Anfang
war die Sendung, für sie geschieht die
Welt", bei manchen Formaten nichts an
Gültigkeit eingebüßt.</p>
<p>Als der Vielgeehrte 1992 in Wien starb,
verstummte ein streitbarer Moralist und
Fortschrittskritiker vom Rang eines Erwin
Chargaff, Guido Ceronetti oder E.M. Cioran.
Er hatte als Frage formuliert, was gewiss
seine Lebensmaxime war: "Sollte Leben -
Nonkonformismus sein?</p>
<p>Zum Vorteil für den Leser stellt Konrad
Paul Liessmann nicht allein Anders' Leben
und Werk dar, sondern überträgt dessen
Themen in unsere technologisch hochgerüstete
Gegenwart.</p>
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