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<h3 class="entry-title"><a
href="http://raumgegenzement.blogsport.de/2009/11/02/walter-benjamin-kapitalismus-als-religion-fragment-1921/"
rel="bookmark" title="Permanent Link zu "Walter Benjamin
– Kapitalismus als Religion – Fragment (1921)"">Walter
Benjamin – Kapitalismus als Religion – Fragment (1921)</a></h3>
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<div class="entry-date"><abbr class="published"
title="2009-11-02T13:06:55+0100">2. November 2009</abbr></div>
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<p><img src="cid:part4.03010002.01060200@ziggo.nl" align="middle"></p>
<blockquote>
<p>Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der
Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen,
Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen
Antwort gaben. Der Nachweis dieser religiösen Struktur des
Kapitalismus, nicht nur, wie Weber meint, als eines religiös
bedingten Gebildes, sondern als einer essentiell religiösen
Erscheinung, würde heute noch auf den Abweg einer maßlosen
Universalpolemik führen. Wir können das Netz in dem wir stehen
nicht zuziehn. Später wird dies jedoch überblickt werden.<br>
Drei Züge jedoch sind schon der Gegenwart an dieser religiösen
Struktur des Kapitalismus erkennbar. Erstens ist der
Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste,
die es je gegeben hat. Es hat in ihm alles nur unmittelbar mit
Beziehung auf den Kultus Bedeutung, er kennt keine spezielle
Dogmatik, keine Theologie. Der Utilitarismus gewinnt unter
diesem Gesichtspunkt seine religiöse Färbung. Mit dieser
Konkretion des Kultus hängt ein zweiter Zug des Kapitalismus
zusammen: die permanente Dauer des Kultus. Der Kapitalismus ist
die Zelebrierung eines Kultes sans rêve et sans merci. Es gibt
da keinen „Wochentag“< ,> keinen Tag der nicht Festtag in
dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen
Pompes< ,> der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre.
Dieser Kultus ist zum dritten verschuldend. Der Kapitalismus ist
vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern
verschuldenden Kultus. Hierin steht dieses Religionssystem im
Sturz einer ungeheuren Bewegung. Ein ungeheures Schuldbewußtsein
das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm
diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen, dem
Bewußtsein sie einzuhämmern und endlich und vor allem den Gott
selbst in diese Schuld einzubegreifen< ,> um endlich ihn
selbst an der Entsühnung zu interessieren. Diese ist hier also
nicht im Kultus selbst zu erwarten, noch auch in der Reformation
dieser Religion, die an etwas Sicheres in ihr sich müßte halten
können, noch in der Absage an sie. Es liegt im Wesen dieser
religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist< ,> das
Aushalten bis ans Ende< ,> bis an die endliche völlige
Verschuldung Gottes, den erreichten Weltzustand der Verzweiflung
auf die gerade noch gehofft wird. Darin liegt das historisch
Unerhörte des Kapitalismus, daß Religion nicht mehr Reform des
Seins sondern dessen Zertrümmerung ist. Die Ausweitung der
Verzweiflung zum religiösen Weltzustand aus dem die Heilung zu
erwarten sei. Gottes Transzendenz ist gefallen. Aber er ist
nicht tot, er ist ins Menschenschicksal einbezogen. Dieser
Durchgang des Planeten Mensch durch das Haus der Verzweiflung in
der absoluten Einsamkeit seiner Bahn ist das Ethos das Nietzsche
bestimmt. Dieser Mensch ist der Übermensch, der erste der die
kapitalistische Religion erkennend zu erfüllen beginnt. Ihr
vierter Zug ist, daß ihr Gott verheimlicht werden muß, erst im
Zenith seiner Verschuldung angesprochen werden darf. Der Kultus
wird von einer ungereiften Gottheit zelebriert, jede
Vorstellung, jeder Gedanke an sie verletzt das Geheimnis ihrer
Reife.<br>
Die Freudsche Theorie gehört auch zur Priesterherrschaft von
diesem Kult. Sie ist ganz kapitalistisch gedacht. Das
Verdrängte, die sündige Vorstellung, ist aus tiefster, noch zu
durchleuchtender Analogie das Kapital, welches die Hölle des
Unbewußten verzinst. Der Typus des kapitalistischen religiösen
Denkens findet sich großartig in der Philosophie Nietzsches
ausgesprochen. Der Gedanke des Übermenschen verlegt den
apokalyptischen „Sprung“ nicht in die Umkehr, Sühne, Reinigung,
Buße, sondern in die scheinbar stetige, in der letzten Spanne
aber sprengende, diskontinuierliche Steigerung. Daher sind
Steigerung und Entwicklung im Sinne des „non facit saltum“
unvereinbar. Der Übermensch ist der ohne Umkehr angelangte, der
durch den Himmel durchgewachsne, historische Mensch. Diese
Sprengung des Himmels durch gesteigerte Menschhaftigkeit, die
religiös (auch für Nietzsche) Verschuldung ist und bleibt<
,> hat Nietzsche pr< ä >judiziert.<br>
Und ähnlich Marx: der nicht umkehrende Kapitalismus wird mit
Zins und Zinseszins, als welche Funktion der Schuld (siehe die
dämonische Zweideutigkeit dieses Begriffs) sind, Sozialismus. </p>
</blockquote>
<p>Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion [Fragment], in:
Gesammelte Schriften, Hrsg.: Rolf Tiedemann und Hermann
Schweppenhäuser, 7 Bde, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1. Auflage,
1991, Bd. VI, S. 100 – 102. <a
href="http://sites.google.com/site/espacecontreciment/home/doc/Benjamin-KapitalismusalsReligion.pdf?attredirects=0&d=1"><strong>[PDF]</strong></a></p>
<p><a
href="http://sites.google.com/site/espacecontreciment/home/doc/L%C3%B6wy-Capitalismecommereligion%282006%29.pdf?attredirects=0&d=1"><strong>Michael
Löwy: Capitalisme comme religion : Walter benjamin et Max
Weber (2006)</strong></a></p>
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