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Fri Aug 23 18:11:05 CEST 2019


Der Brandbeschleuniger
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Von Marian Blasberg, Rio de Janeiro
spiegel.de
3 min
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Bolsonaro und die Feuer in Brasilien

Die Rauchwolken der Brände im Amazonasgebiet verdunkeln den Himmel über
São Paulo - und die Trockenzeit steht erst noch bevor. Brasiliens
Staatschef Jair Bolsonaro flüchtet sich in Verschwörungstheorien.

Als am Montagnachmittag um 15 Uhr über der Millionenstadt São Paulo
völlig unerwartet und drei Stunden zu früh die Nacht hereinbrach,
verstanden die Brasilianer die Welt nicht mehr.

Dunkle Wolken verfinsterten plötzlich den Himmel, dann fiel ein
sonderbarer, schwarzer Regen, der kleine Rußpartikel enthielt und nach
kalter Asche roch. Während die Wetterreporter im Fernsehen nach Worten
suchten, kam es vielen vor, als erlebten sie gerade die Apokalypse.
Auf dem Foto vom Montag ist der abgedunkelte Himmel in São Paulo zu sehen.
Auf dem Foto vom Montag ist der abgedunkelte Himmel in São Paulo zu sehen.

Die ersten, die etwas Licht ins Dunkel brachten, waren Meteorologen, die
am folgenden Tag erklärten, dass die Rußpartikel möglicherweise von
Waldbränden stammten, die zurzeit im Amazonasgebiet loderten. Starke
Winde hätten sie her geweht. Zu dieser Theorie passten einige Zahlen,
die das angesehene Staatliche Institut für Weltraumforschung am selben
Tag veröffentlichte. Demzufolge hat die Auswertung von Satellitenbildern
ergeben, dass zwischen Januar und August 71.497 Feuer im Amazonas
ausgebrochen seien. Im ganzen Jahr 2018 waren es 39.000. Es ist ein
Anstieg um knapp 83 Prozent.

Die abstrakten Zahlen sind das dabei eine. Das andere ist die emotionale
Wucht der Bilder brennender Bäume, die seitdem um die Welt gehen und für
einen immer lauter anschwellenden Aufschrei der Empörung sorgen.

In Anlehnung an einen Slogan der Klimaaktivistin Greta Thunberg erklärte
der französische Präsident Emanuel Macron am Donnerstag über die
sozialen Medien, dass "unser Haus in Flammen" stehe. Mit Blick auf
Brasilien sprach Macron von einer "internationalen Krise", die er als
Gastgeber des G7-Gipfels in Biarritz an diesem Wochenende zum Thema
machen will. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio
Guterres, ergänzte, dass die Menschheit angesichts der globalen
Klimakrise nicht noch mehr Schäden hinnehmen könne. "Wir müssen den
Amazonas schützen", sagte Guterres.

Großgrundbesitzer riefen den "Tag des Feuers" aus

Seit Brasilien von dem rechtsextremen Hassprediger Jair Bolsonaro
regiert wird, blickt die Welt besorgt auf das wichtigste Ökosystem der
Erde. Bolsonaro, der wie Donald Trump den Klimawandel leugnet, will den
Regenwald für große Unternehmen der Landwirtschafts- und
Bergbauindustrie erschließen. Seit seinem Amtsantritt im Januar haben
die staatlichen Behörden die Kontrolle der Abholzungen weitgehend
eingestellt. Bußgelder für das unerlaubte Eindringen in
Indianerreservate werden nicht mehr verhängt.

Auf die Folgen dieser Politik hatte das Weltrauminstitut bereits im Juli
hingewiesen, als es aktuelle Zahlen präsentierte, die belegten, dass die
Zahl der abgeholzten Flächen im Vergleich zum Vorjahr um ein Vierfaches
gestiegen ist. Der Direktor des Instituts musste gehen, Bolsonaro
bezeichnete den Befund der Wissenschaftler als manipuliert.

In der Region entlang der Bundesstraße 163, die eine der
konfliktreichsten am südlichen Rand des Amazonas ist, hatte sich die
Katastrophe sogar angekündigt. Verschiedene Großgrundbesitzer hatten in
einer lokalen Zeitschrift den 10. August öffentlich zu einem "Tag des
Feuers" ausgerufen, um neue Weideflächen zu erschließen. Eine der
Anführerinnen erklärte dieser Tage der Zeitung "Folha de São Paulo",
dass sie sich durch die Reden des Präsidenten ermuntert fühlen würden.
Satellitenbilder des Weltraumforschungsinstituts belegen, dass an jenem
10. August die Zahl der Feuer tatsächlich um 300 Prozent in die Höhe schoss.

Bolsonaro flüchtet sich in Verschwörungstheorien

Als Bolsonaro an diesem Donnerstag vor die Kameras trat, um seine Sicht
auf die Dinge kundzutun, trug er eine Verschwörungstheorie vor. Schuld
an den Bränden, erklärte er, seien die internationalen NGOs. Sie würden
die Feuer legen, um ihn aus dem Amt zu drängen.

Bolsonaro sagte, dass er zwar keine Beweise habe für seine Theorie, aber
in seinen Augen gibt es einen plausiblen Verdacht. Seit Deutschland und
Norwegen vor einigen Tagen staatliche Hilfsgelder für eine nachhaltige
Entwicklung des Amazonas eingefroren haben, meint er, kämpften viele
dieser Organisationen ums finanzielle Überleben. Es ist Unsinn, aber er
passt in das Weltbild eines Mannes, der auch daran glaubt, dass ein
sinnvoller Beitrag zum Umweltschutz darin bestehe, nur noch jeden
zweiten Tag aufs Klo zu gehen.

Dennoch mehren sich auch unter seinen Unterstützern langsam die
kritischen Stimmen. Blairo Maggi, der Landwirtschaftsminister unter
Dilma Rousseff war und als größter Soja-Exporteur Brasiliens von
Greenpeace einmal eine "Goldene Kettensäge" verliehen bekam, äußerte die
Befürchtung, dass Europa brasilianische Produkte künftig boykottieren
könnte. Abgesehen davon, glaubt Maggi, könnte Bolsonaros "aggressiver
Diskurs" auch das erst im Juni beschlossene Handelsabkommen zwischen der
Europäischen Union und den südamerikanischen Staaten des Mercosur
gefährden. Die Europäer hatten angekündigt, weder Fleisch noch Soja zu
importieren, das auf abgeholzten Regenwaldflächen produziert wurde.

Der Bundesstaat Amazonas hat inzwischen einen Krisenstab eingerichtet.
In Acre überlegt der Gouverneur, den Umweltnotstand auszurufen, weil die
Feuerwehr mit den Löscharbeiten nicht mehr nachkommt. Knapp 30.000
Menschen wurden seit Jahresbeginn wegen Atemwegsbeschwerden behandelt.
Richtig schlimm, befürchten viele, werde es aber wohl es erst, wenn im
September offiziell die Trockenzeit beginnt.


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