[D66] Ein Gesetz, das Angst und Schrecken bringt

A.O. jugg at ziggo.nl
Mon May 7 21:30:40 CEST 2018


(Nieuwe schandaalwet in Beieren.)

http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-ein-gesetz-das-angst-und-schrecken-bringt-1.3955373
https://de.wikipedia.org/wiki/Psychisch-Kranken-Gesetz

Ein Gesetz, das Angst und Schrecken bringt

By Heribert Prantl, www.sueddeutsche.de
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April 22nd, 2018

Das in Bayern beschlossene Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz behandelt
psychisch kranke Menschen wie Straftäter. Wer traut sich da noch, mit
Depressionen um Hilfe zu rufen?

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der
Chefredaktion und Ressortleiter Innenpolitik der SZ, mit politischen
Themen, die in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus -
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Dieser Brief ist ein sorgenvoller Brief, ein Brandbrief. Warum? In
meinen dreißig Jahren als Journalist habe ich viel Kritik an Gesetzen
erlebt und selber geübt. Aber nie war die Kritik aller Beteiligten und
Betroffenen so massiv, so einhellig, so besorgt, so empört, so entsetzt
wie zu diesem Gesetz: Das vom bayerischen Ministerrat schon beschlossene
Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ist ein Gesetz, das psychisch kranke
Menschen in die Nähe von Straftätern rückt und sie wie Straftäter behandelt.

Ein Krankenhaus ist kein Ort für Stigmatisierung

Es ist ein Gesetz, das psychisch Kranke zu Gefährdern erklärt, das ihre
Ärzte zu Hilfspolizisten und die psychiatrischen Krankenhäuser zu
Verwahranstalten macht. Die Menschen, die von diesem "Hilfe-Gesetz"
betroffen sind, sollen nach den Regeln des Kriminalrechts in den
psychiatrischen Krankenhäusern festgehalten und der Polizei gemeldet
werden. Für psychisch Kranke gelten in der Klinik dann die Regeln des
Strafvollzugs, die Regeln des Maßregelvollzugs und die Regeln der
Sicherungsverwahrung. Ihre Entlassung soll der Polizei annonciert, ihre
Krankheitsdaten sollen in einer zentralen Datei gespeichert und von den
Sicherheitsbehörden abgerufen werden können. Wer traut sich da noch, mit
Depressionen um Hilfe zu rufen, wer traut sich in Ausnahmesituationen um
Intervention zu bitten? Er muss damit rechnen, dass ihm aus seiner
Krankheit ein Strick gedreht wird, dass er in einem Staatsberuf nicht
eingestellt oder dass er nicht befördert wird. Ein Krankenhaus ist aber
ein Ort, an dem geheilt werden soll - nicht stigmatisiert.

Acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer psychischen
Krankheit; 1,2 Millionen werden stationär behandelt; 120 000 sind zur
Diagnose und Therapie untergebracht - davon derzeit zehn Prozent gegen
ihren Willen. Sie werden von so einem Gesetz in Angst und Schrecken
versetzt. Und weil der Ministerpräsident, unter dessen Ägide dieses
Gesetz entstanden ist, jetzt Bundesinnenminister ist, muss man fürchten,
dass der Ungeist dieses Gesetzes bundesweit zu spuken beginnt. Entweder
Horst Seehofer weiß nicht, was da zu seiner Zeit als Regierungschef von
seinen Sozial- und Gesundheitsministerien ausgebrütet worden ist; dann
ist es schlimm. Oder er weiß es und hat es gebilligt, dann ist es noch
schlimmer.

Ein Missbrauch der Psychiatrie

Vor kurzem haben mich die ärztlichen Direktoren dreier großer
psychiatrischer Kliniken in Bayern in meinem Büro in der Süddeutschen
Zeitung aufgesucht - in allergrößter Sorge. Sie warnten eindringlich
davor, aus einem Krankenhilfegesetz ein Sicherheitsgesetz, ein
Polizeigesetz, zu machen. Sie sahen eine Grundregel ihres ärztlichen
Handelns in Gefahr. Diese Grundregel lautet: Es dürfen nur solche Kranke
zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht und behandelt werden, die
nicht selbstbestimmungsfähig sind - nur die also, die nicht mehr Herr
ihrer Sinne sind, die nicht mehr wissen, was sie tun und deswegen Schutz
brauchen; Schutz für sich und ihre Mitmenschen. Für sie ist das
Unterbringungsrecht da. Es ist nicht dafür da, Gefährder festzusetzen;
dafür gibt es das Polizeirecht und das Strafrecht.

Psychiatrische Krankenhäuser sind Krankenhäuser - keine Verwahranstalten
im Auftrag der Sicherheitsbehörden; sie dürfen es nie werden. Ein
Gesetz, das sich als Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz bezeichnet, aber
ausdrücklich der Gefahrenabwehr dienen soll, ein Gesetz, das Ärzte zum
Einfangen und Festhalten von angeblichen Gefährdern missbraucht, ist ein
Missbrauch der Psychiatrie.
Maß und Ziel verloren

Das ist so unmittelbar einsichtig, dass man sich fragt, wie ein so
suspektes Vorhaben überhaupt Gesetzesreife erlangen konnte. Das liegt
daran, dass die CSU-Politik in ihrem Sicherheitsrausch Maß und Ziel
verloren hat. Fünfzig Jahre nach dem Erlass der Notstandsgesetze auf
Bundesebene produziert die CSU bayerische Notstandsgesetze, die zu ihrem
Einsatz einen Notstand nicht mehr als Voraussetzung haben. Sie werden
mit der Terrorgefahr begründet, sind aber bei ihrer Durchführung vom
Terror losgelöst - für die Zugriffe und Eingriffe genügt die "drohende
Gefahr" jeglicher Art.

Konkret muss die Gefahr gar nicht sein - aber der Polizei wird es
gleichwohl erlaubt, Post sicherzustellen, Telekommunikation abzuhören,
Daten auszulesen, auch aus der Cloud, verdeckte Ermittler einzusetzen,
mit Drohnen zu filmen; Polizisten dürfen Bodycams einsetzen, selbst in
Wohnungen; sie dürfen in die Genspuren hineinschauen, um Haar-, Haut-
und Augenfarben festzustellen. Jeder, der einem Polizisten mit Bodycam
begegnet, muss künftig damit rechnen, dass er erfasst und gerastert wird.

Das geplante neue Polizeiaufgabengesetz, das im Mai verabschiedet werden
soll, ist das schärfste, umfassendste, grundrechtsverbrauchendste
Polizeigesetz der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Es räumt der
Polizei Rechte in einer Zahl und in einer Eingriffstiefe ein, die es in
dieser Dimension noch nie gegeben hat - und dies wird auf ein
Polizeigesetz draufgesattelt, das erst vor einem knappen Jahr kräftig
ausgeweitet wurde: Damals wurde, einmalig in der Bundesrepublik, ein
zeitlich unbegrenzter Unterbindungsgewahrsam eingeführt - schon vorher
stand Bayern mit einer bis zu 14-tägigen Polizeihaft an der Spitze
solcher Haftzeiten in Deutschland. Nun ist aus den 14 Tagen jedenfalls
theoretisch eine Unendlichkeitshaft geworden - für den Unterbindungs-
oder Vorbeugegewahrsam, genannt Polizeihaft, gibt es keine zeitlichen
Grenzen mehr.

Potenzielle Normabweichungen aufspüren

Das neue bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz muss im Kontext des
neuen bayerischen Polizei- und Sicherheitsrechts gesehen werden; es ist
ein Teil davon. Das Ganze formt sich zu einem neuen Präventions- und
Sicherheitsrecht, das das klassische Straf- und Sicherheitsrecht hinter
sich lässt. Es geht um die Errichtung eines Frühwarnsystems, das
Regungen potenzieller Normabweichung aufspürt, das Auffälligkeiten
registriert, das den terroristischen Gefährder, den Dieb, den Sprayer
schon erkennt, bevor er sich entschließt, wirklich einer zu sein. Es
geht um ein System, das flächendeckend und umfassend Signale und Daten
einfängt und sicherheitshalber speichert, um daraus Erkenntnisse zu
gewinnen. Es entsteht ein einheitliches, vernetztes Sicherheitssystem,
in dem geheimdienstliche, aber rechtsstaatlich wenig kontrollierte
Ermittlungsmethoden allgemeiner Standard werden.

Es werden, und das ist der Preis dieses Frühwarnsystems, ohne konkreten
Anlass und ohne konkrete Anhaltspunkte solche Mittel zum Einsatz
gebracht, die bisher im Strafrecht nur gegen Verdächtige möglich waren.
Weit im Vorfeld einer Straftat sollen nun also geringere Anforderungen
an einen massiven Grundrechtseingriff gelten als dann, wenn der Täter
schon zur Tat angesetzt hat.

Sicherheit XXL, Grundrechte XXS?

Je weiter eine konkrete Tat entfernt ist, umso mehr ist dem Staat
erlaubt: Das ist die neue Regel der Prävention. Sie sprengt alle
bisherigen rechtsstaatlichen Regeln. Bayern ist damit nicht allein, es
gibt das alles auch in Bundesgesetzen und den Polizeirechten anderer
Bundesländern. Aber nirgendwo ist das alles so weit vorangetrieben wie
im neuen bayerischen Polizeirecht - ohne Rücksicht auf Kranke, ohne
Rücksicht auf rechtsstaatliche Verluste. Man muss fürchten, dass das,
unter Anleitung des bayerischen Bundesinnenministers, in ganz
Deutschland Schule macht. Deshalb ist dieser Brief eine Warnung vor der
Banalisierung der Grundrechte. Sicherheit XXL, Grundrechte XXS? Das ist
ein schlechtes Motto für einen Rechtsstaat.

Über dem Eingang der wunderbaren Klosterkirche Polling in Oberbayern
steht der berühmte Spruch "Liberalitas Bavarica" - der als Ausdruck
bayerischer Lebensart gilt und gern falsch übersetzt wird. So falsch wie
in den neuen bayerischen Gesetzen aber ist dieser Spruch noch nie
übersetzt worden. Man muss ihn eigentlich jetzt durch "Brutalitas
Bavarica" ersetzen.


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