Der Ruf nach dem Obrigkeitsstaat

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Wed Dec 8 08:00:32 CET 2010


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Deutsche Reaktionen auf Wikileaks
Der Ruf nach dem Obrigkeitsstaat
Von Peter Schwarz
8. Dezember 2010

Die Veröffentlichung interner Dokumente des amerikanischen Außenministeriums
durch die Internetplattform Wikileaks hat in Deutschland heftige Reaktionen
ausgelöst. Nur wenige Kommentare äußern sich positiv. Die überwiegende Mehrheit
der Journalisten und Politiker verurteilt das Vorgehen von Wikileaks und
verteidigt das Recht des Staats auf Geheimhaltung. Das gilt nicht nur für rechte
und konservative Kreise, sondern auch für die liberale Presse und für die SPD
und die Grünen.

Typisch ist ein Gastbeitrag, den der sozialdemokratische Fraktionschef im
Europaparlament Martin Schulz am 3. Dezember in der Frankfurter Rundschau
veröffentlicht hat. Schulz bedient sich eines billigen Tricks. Er setzt den
Schutz von Staatsgeheimnissen mit dem Schutz der Privatsphäre von Individuen
gleich. „Wir müssen uns der Frage stellen, was für eine Gesellschaft wir wollen
– eine, in der nichts privat und vertraulich bleibt?“ fragt er und fährt fort:
„Vertrauen, Verschwiegenheit, ja Geheimnisse sind Teil unseres Privatlebens.
Auch im öffentlichen Leben muss es vertrauliche Momente geben.“

Dasselbe Argument findet sich in zahlreichen anderen Kommentaren. Es
unterstellt, die Geheimhaltung staatlicher Absprachen, die schwerwiegende Folgen
für Millionen Menschen haben, sei dasselbe wie die vertrauliche Behandlung
persönlicher Angelegenheiten, die nur die unmittelbar Betroffenen etwas angehen.

Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente befassen sich nicht mit den
privaten Beziehungen und Affären von Diplomaten. Sie geben – wie der britische
Historiker Timothy Garzon Ash in einem Beitrag für den Spiegel schreibt – „einen
klaren Einblick in Prioritäten, Charaktere, Gedankenmuster“. Die bisher
veröffentlichten Dokumente haben unter anderem aufgedeckt, mit welcher Heimtücke
die USA und ihre Verbündeten militärische Maßnahmen gegen Iran, China und andere
Länder planen, die leicht zu einem Dritten Weltkrieg und zur Vernichtung der
Menschheit führen könnten.

Wer die Lügen und Fälschungen verfolgt hat, mit denen die USA bereits 2003 den
Krieg gegen den Irak gerechtfertigt hatten, müsste die Veröffentlichung der
Wikileaks-Dokumente begrüßen. Nicht so Schulz. Er wirft Wikileaks vor, es handle
„nicht im öffentlichen Interesse“, sondern untergrabe „grundlos die Institution
der Diplomatie“.

Schulz‘ Beitrag gipfelt in dem Vorwurf: „Wikileaks hat den Unterschied von
Interesse der Öffentlichkeit und öffentlichem Interesse nicht verstanden.“ Damit
zeigt er ein Staatsverständnis, das mehr mit dem preußischen Obrigkeitsstaat zu
tun hat als mit einer Demokratie oder Republik.

Unter der Hohenzollernmonarchie hatten breite Schichten des Kleinbürgertums –
darunter auch solche Ikonen des deutschen Liberalismus wie Friedrich Naumann und
Max Weber – die Herrschaft des Kaisers gegen den demokratischen Parlamentarismus
verteidigt. In ihren Augen war die Monarchie erforderlich, um das „öffentliche
Interesse“ – wozu sie die Aufrüstung der deutschen Kriegsflotte, die Eroberung
von Kolonien und der Zusammenschluss Mitteleuropas unter deutscher Führung
zählten – gegen den wachsenden Einfluss der SPD durchzusetzen, die kurz davor
stand, stärkste Partei im Reichstag zu werden.

„Der Monarch mitsamt seinen verfassungsmäßigen Prärogativen, die mit einem
parlamentarischen Regiment prinzipiell nicht zu vereinbaren waren, boten sich
als ideales Instrument an, um die bestehende Ordnung gegenüber den
demokratischen Strömungen zu immunisieren“, schreibt der Historiker Wolfgang J.
Mommsen. („War der Kaiser an allem schuld?“, München 2002, S. 74)

Indem Schulz einen Gegensatz zwischen öffentlichem Interesse und Interesse der
Öffentlichkeit konstruiert, weist er die Demokratie zurück. Denn wenn alle
Staatsgewalt vom Volke ausginge, wie es im Grundgesetz heißt, könnte und dürfte
es einen solchen Gegensatz nicht geben. Schon für die alten Römer war die res
publica (das Gemeinwesen, die Republik) identisch mit der res populi (der Sache
des Volkes), wie Cicero in seiner berühmten Schrift De re publica darlegte.
Schulz spricht damit aus, dass der Staat andere Interessen vertritt als das Volk
und dazu der Geheimhaltung bedarf. Darin besteht die Quintessenz seines Angriffs
auf Wikileaks.

„Ohne Vertraulichkeit kein offenes Gespräch, weniger Informationen und
vielleicht mehr falsche Entscheidungen“, schreibt er und spricht damit
unzähligen Politikern und Gewerkschaftsfunktionären aus der Seele, die
Vereinbarungen hinter den Kulissen ausmauscheln und fest darauf vertrauen, dass
sie nie ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Denn wo kämen wir hin, wenn jeder
nachlesen könnte, was die Bundeskanzlerin Bankmanagern verspricht, was
Oppositionspolitiker mit der Regierung vereinbaren oder was Gewerkschaftführer
mit Unternehmern ausmachen? Die bestehende Ordnung geriete ins Wanken.

Schulz ist nur einer von vielen, die sich über Wikileaks empören, weil es den
Schleier der Geheimhaltung gelüftet hat.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir erklärte im Fernsehen, Wikileaks habe mit der
Veröffentlichung geheimer diplomatischer Dokumente „eine Grenze überschritten,
die unserer Demokratie insgesamt nicht gut tut“.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler verkündet im Spiegel: „Eine
Gesellschaft ohne Geheimnisse hat ihre Ordnung verloren.“ Und: „Die
Erfolgsgeschichte des Staates ist ganz entscheidend an die erfolgreiche
Monopolisierung des politischen Geheimnisses gebunden.“

Nikolas Richter warnt in der Süddeutschen Zeitung: „Der Geheimnisverrat
gefährdet das Funktionieren der Außenpolitik“. Stefan Kornelius schrieb in
derselben Zeitung: „Ohne Vertraulichkeit keine Information… Wenn der
US-Präsident eines Tages über den Stand des iranischen Atomprogramms richten
muss und zu einem Luftschlag gedrängt würde, dann wünschte man ihm verlässliche
Einschätzungen.“

Und das Handelsblatt sorgt sich: „Was die US-Politik erschüttert, darf auch die
Wirtschaft nicht kaltlassen: Wenn heute anscheinend ohne erkennbare Mühe die
Kommandozentrale Washington mit der Veröffentlichung von Geheimdepeschen
bloßgestellt wird, kann es morgen General Electric treffen oder Siemens, Daimler
oder die Deutsche Bank.“

Als Daniel Ellsberg 1971 die Pentagon-Papiere veröffentlichte und die gezielte
Irreführung der Öffentlichkeit durch die amerikanische Regierung in Bezug auf
den Vietnamkrieg aufdeckte, erhielt er dafür zahlreiche Ehrungen. Dasselbe gilt
für die Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward und ihre Aufdeckung des
Watergate-Skandals. Wikileaks und sein Gründer Julian Assange stoßen dagegen mit
ebenso wichtigen Enthüllungen fast nur noch auf Ablehnung und Kritik.

Das zeigt zwei Dinge: Erstens lassen sich staatliche Entscheidungen im Zeitalter
der Sparprogramme, der Bankenrettungspakete und der internationalen
Kriegseinsätze nicht mehr öffentlich rechtfertigen. Die Reichen und Mächtigen
sind mehr denn je auf Geheimhaltung angewiesen, um ihre politischen Ziele zu
verwirklichen. Und zweitens sind Medien und offizielle Politik so weit nach
rechts gerückt, dass sich selbst in liberalen Kreisen kaum mehr jemand findet,
der demokratische Grundrechte verteidigt.

Für die arbeitende Bevölkerung muss dies eine Warnung sein. Die Angriffe auf
Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsplätze und die Militarisierung der
Außenpolitik gehen mit Angriffen auf demokratische Rechte und dem Aufbau
autoritärer Strukturen einher. Nur eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse auf
Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms kann dem Einhalt
gebieten.

http://wsws.org/de/2010/dez2010/wiki-d08.shtml

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